13. Mai 2020

Glück



Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir 
zur Not selber schreiben.

Franz Kafka

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10. Juli 2018

Die dreizehnte Fee

Die dreizehnte Fee

Die Uralte, die Weise saß am steinernen Becken. Sie zog ihre Hand durch das klare Wasser und all die Bilder, die sie in die Zeiten sehen ließen, verschwanden, nichts blieb zurück als drückende Schwermut und nie gekannte Trauer und der strahlende Sommertag versank in Düsternis...
Der König des Landes missachtete die Uralte Ordnung - wieder und wieder. Zwölf der Schwestern gebot er zu sich, aus Anlass des Tauffestes seiner neugeborenen Tochter. Prächtig gekleidete Diener schickte er aus, junge Burschen, die sich ihrer Stellung am Hofe gewiss, die Einladungen den ausgesuchten Feen hochmütig überreichten. Die jungen Pagen kannten keine Ehrfurcht mehr vor den Weisen Weiber, die überall im Lande lebten und wirkten. Der König lud nur ihrer Zwölf in seine Burg. An manch anderem und auch an ihrem Haus, dem der Dreizehnten, ritten die Boten vorbei.
Einst kam die Mutter der Königin selbst zu ihr und ihren Schwestern, um sie zum Fest zu bitten. In der Nacht der Frauen versammelten sich alle. Und im Schein des vollen Mondes empfahl die junge Mutter ihre neugeborene Tochter dem Kreis der Dreizehn und den Ahninnen, bat um Schutz und Beistand für die künftige Königin. Viel zu früh verstarb sie, die hochverehrte Königin. Und viel zu früh vermählte sich deren Tochter. Jetzt ward diese nach einer langen Wartezeit selbst Mutter und das Königspaar wusste sich vor Glück nicht zu lassen, hieß es im ganzen Land.
Die dreizehnte Fee, die Alte, schritt durch die Räume ihres Palastes. Von außen ward dieser eine unscheinbare Hütte, doch trat man durch die Türe, taten sich im Inneren weite Säle auf, geheimnisvolle Gemächer und Türme, von deren Warte sie Zukünftiges und Vergangenes sah. Hier störte nichts das immer währenden Sein.
Nach vielen Stunden saß sie immer noch auf der Bank des Altans. Zum ersten Mal in ihrem langen Leben war der Tag gekommen, an dem sie ihren sonst so segensreichen Ahnungen fluchen wollte. Ihr Vermögen, das sie unerbittlich sehen ließ, was anderen verborgen blieb, lag heute als schwere Last auf ihren Schultern. Sie sah und erkannte, wohin der Menschen Entscheidungen führten. Es waren leichtfertige und grauame Entscheidungen, die nicht mehr von ewigen Prinzip getragen wurden. Keiner suchte mehr ihren Rat.
Sie schloss ihre Augen, leerte ihren Geist, versank in den Weiten der ewigen Welten. Doch ein bisher nicht bekannter Schmerz zog sie immer wieder zurück, missgönnte ihr heute die Ruhe, welche sonst ihre Kräfte wachsen ließ. Und so beschloss sie, sich auf den Weg zu machen. Mit ihrer Anwesenheit wollte sie dem König zeigen, was er bereit war aufs Spiel zu setzen. Und mit eigenen Augen würde sie sich überzeugen, dass die Königin nicht mehr die Geschicke des Landes lenkte. Nein, sie durfte sich nicht ausschließen lassen, zu wichtig war ihre Vision für die Menschen. Die dreizehnte der Feen begab sich auf den Weg zum königlichen Schloss.
Es war ein leichtes für eine unscheinbare alte Frau die Königspfalz zu betreten. Niemand kümmerte sich um sie, keiner nahm sie gewahr. Das wunderbare Gewand der Feen hielt sie vor den Augen der geschäftigen und froh gestimmten Menschen verborgen. Sie durchschritt die festlich geschmückten Räume der Burg. Unbeachtete schritt sie inmitten all der Rührigkeit. Sie schlängelte sich an Mägden vorbei, die Platten und Schüsseln mit üppigen Speisen aus der Küche brachten und den fein gewandeten Diener zum Servieren übergaben. In den Gängen standen bewaffnete Wachen aufgereiht und an jeder Tür fragte ein Lakai nach dem Begehr, nur die alte Frau nahm er nicht wahr. Das leichte Leben in Vertrauen und Ungebundenheit, die Zeit der kundigen und klugen Frauen ging zu Ende, nie hatte die dreizehnte Fee es deutlicher gesehen, als in diesem Augenblick, da sie den Festsaal des Palas betrat.
Die zwölf Schwestern umstanden bereits die Wiege des Kindes, während die geladenen Gäste schwatzten und tafelten. Und trotz der ganzen, zur Schau getragenen, überschäumenden Ausgelassenheit, lag ein dunkler Schatten auf der anwesenden Festgesellschaft. All die feiernden Gäste, die dem Königspaar zujubelten und mühten sich auch zu verbergen, dass in der Freude über das Kind, auch die Enttäuschung mitschwang. Kein Sohn hatte das Licht der Welt erblickt, es war nur eine Tochter. Wohlgesetzte Reden schmeichelten dem Herrscher und enthielten manch versteckten Tadel für die Königin, welche dem Gatten nicht den erwarteten Erbprinzen geschenkte.
Der Zorn über die Ungehörigkeit und die Unvernunft der erlauchten Gesellschaft stieg erneut in der Alten auf. Und deutlich spürte sie, auch ihre Schwestern fühlten nur zu gut den neuen, den unheilvollen Geist. Die meisten von ihnen trugen einen dünnen Schleier vor ihrem Gesicht, so dass die Anwesenden ihre Besorgnis nicht aus ihren Mienen lesen konnten.
Die Königin, noch erschöpft von den Anstrengungen der letzten Tage, hatte nur Augen für ihre langersehnte kleine Tochter. Selbst die Weisen Frauen, die Feen des Landes, nahm sie kaum wahr. Doch nun erschrak sie, als sie der Dreizehnten angesichtig wurde. Ängstlich blickte sie hin, zu ihrem Gemahl, der zwischen Grafen und Herzögen und deren Gattinnen an der Tafel saß.
Die Alte, die Feenmutter, ließ den Mantel von den Schultern gleiten und stand in ihrer Gewaltigkeit mitten im Saal. Erschrocken verstummten bei ihrem Erscheinen die Gespräche und all das Zuprosten. Sie sah sich lange und bedachtsam um. Dann trat sie an die Wiege der kleinen Prinzessin. Mit großen Augen lachte das Kind sie an und die Fee wurde schier überwältigt von den Offenbarungen, welche vor ihr auftauchten.
Soll die kleine Königstochter in all den Schrecken, den sie so überdeutlich vor sich sah, hineinwachsen? Das Grauen der gewissen Zukunft erleben. Wäre es nicht besser, sie wäre tot? Ihr Geburtsrecht würde sie verlieren, sobald der Bruder geboren würde. Der Vater wird verbieten, sie zu den Weisen Frauen zu schicken, statt dessen wird er sie mit dem Fürsten des Nachbarreichs verheiraten, um den Frieden zu sichern. Fern vom Haus ihrer Ahnin würde sie dort unglücklich eines frühen Todes sterben. Der König wird den Priestern der neuen Religion in allem freie Hand lassen. Sie werden die Zusammenkünfte der Frauen in den Spinnstuben verbieten und das Tun der Hebammen beargwöhnen.
Sie sah eine Zeit des Todes und der Vernichtung.
Die weise Alte richtete sich hoch auf und ihr Spruch ließ die Anwesenden vor Grauen erstarren. Ihren unnachgiebigen Blick auf den König gerichtet, verkündete sie, was sie sah und mahnte zur Einsicht. Dann verließ sie den Saal.
Auch der Spruch der Zwölften, die nach ihr an die Wiege trat, wird die künftigen Geschehnisse nicht aufhalten oder die Morgen abändern, nur hinauszögern. Das war eine bittere Gewissheit. Mag es diese Königstochter noch nicht treffen, so wird sich der Spruch vielleicht an ihrem Kindeskind erfüllen. Einhundert Jahre Schlaf sei ihnen vergönnt! Eine kleine Spanne Zeit. Nur der sich wiederholende Zyklus. Die bekannte Dauer in der sich Erinnerungen allmählich zu Mären und Sagen wandeln - geläuterte Weisheiten, welche die Großmütter den kleinen Töchtern erzählten, damit diese daraus lernen.
Die dreizehnte Fee, die Uralte, wanderte zwischen reifen Feldern und grünen Wiesen heimwärts in die Einsamkeit des Waldes. Sie dachte an ihre Schwestern. Sollen sie dieses Mal noch, wie zu allen Zeiten, die kleine Prinzessin mit ihren Gaben segnen. Eines Tages wachsen Töchter heran, die von all dem nichts mehr erfahren und viele hundert Jahre werden noch ins Land gehen, bis die Märchen dereinst der Schlüssel zu einer neuen Zeit der Frauen werden.
Ab und zu hielt sie inne auf ihrem Weg und wenn sie die Augen schloss, sah sie dunkle Kerker und Ketten. Sie sah riesige Scheiterhaufen lodern und hörte die Schreie der verfolgten und gemarterten Frauen.
Und die dreizehnte der Feen wusste nicht, wie sie all das allein aufhalten könnte.


"Die dreizehnte Fee" © Märchenerzählung von Stephanie Ursula Gogolin, Juni 2010
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Grüße vom Lesekauz




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Seit gestern bin ich unsichtbar...

Seit gestern bin ich unsichtbar!

Bereits seit Tagen, so etwa ab meinem 66 Geburtstag, hege ich den Verdacht, dass etwas mit mir nicht stimmt. Eine Zeitlang muss ich wenigstens noch als Schemen wahrnehmbar gewesen sein, denn ich bekam ab und zu eine direkte Antworten und manchmal erfolgte auch ein Blick in meine Richtung. Das hat sich jetzt wohl endgültig geändert. Seit gestern komme ich mir vor, als trüge ich eine Tarnkappe.

Es fiel mir auf, als ich meine Wohnungstür geräuschvoll schloss und trotzdem von der Nachbarin, die das Treppenhausfenster putzte, nicht gesehen wurde. Und da war noch die Briefträgerin an der Haustür, die meine Post in den Kasten stopfte, obwohl ich unmittelbar daneben stand. Im Bus angerempelt zu werden, war ich ja schon gewohnt. Aber richtig schräg wurde es, als ein Pulk schwatzender Jugendliche den Bus enterte und sich einer auf den Sitzplatz werfen wollte, auf dem ich bereits saß. Da ich ohnehin an der nächsten Haltestelle aussteigen musste, stand ich auf und ging zur Tür. Er fiel auf den Sitz, ohne mich bemerkt zu haben.

Mein Arzttermin, zu dem ich mich begeben hatte, ging ruckzuck. Mein langjähriger Arzt begrüßte mich mit freundlichen Worte, ohne den Blick von meiner Krankenakte auf dem Monitor zu nehmen. Er nickte zustimmend zu meinen Ausführungen, während seine Finger weiter über die Tastatur huschte. Er stellte ein Rezept aus und gab es der Sprechstundenhilfe. Diese wiederum legte es am Empfang zusammen mit dem Zettelchen, auf dem der nächste Termin vermerkt war, vor mich hin, während sie weiter telefonierte. Bei ihrem „Auf Wiedersehen“ war mir nicht klar, ob der Gruss mir galt oder dem Gesprächsteilnehmer am anderen Ende der Verbindung.

Auf dem Heimweg durch den Stadtpark (ich hatte beschlossen zu laufen, um meine Gedanken zu ordnen), kam mir ein Trupp junger Männer entgegen. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich habe immer ein leicht mulmiges Gefühl, wenn eine Gruppe Jungs, womöglich mit eindeutiger Nahostherkunft, in einer stillen Straße auf mich zukommt. Aber sie gingen ungerührt um mich herum. Klar, es war ein wenig eng, aber keiner von ihnen schien mich wahrzunehmen. Schwadronierend schlenderten sie weiter. Ein wenig verwirrt betrat ich die vor mir auftauchende kleine Bäckerei. Die Verkäuferin, die eben noch lächelnd mit dem Kunden vor mir scherzte, legte nun mit leerem Blick die Brötchentüte auf den Tresen und strich das abgezählte Geld ein. Dann schob mich die nächste Kundin weiter.

Heute morgen nun schien sich nichts geändert zu haben. Der Paketbote hielt mir, auf die Wand starrend, das Gerät zur Unterschrift hin und ging grußlos die Treppe hinab. Der Handwerker, der sich schon vor drei Tagen angekündigt hatte, betrat nach dem Türöffnen stracks mein Bad und begann zu werkeln. Meinen Scherz, „Ach, da sind sie ja schon!“, quittierte er mit einem vagen Lächeln. Wahrscheinlich konnte er sich nicht erklären woher die Stimme kam.

Für mich stand heute noch ein wichtiger Termin an. Diesmal fuhr ich mit dem Auto zu einer weit entfernt liegenden Behörde. Ich stand geduldig in der Warteschlange und als ich endlich an der Reihe war, mahnte die Frau hinter dem Schalter „Der Nächste bitte...“, ohne zu bemerken, dass ich direkt vor ihr stand. Ich trug mein Anliegen vor und die Sachbearbeiterin schloss daraus, dass da jemand sein musste. Sie rückte ihre Brille gerade und starrte angestrengt durch das Kundenfenster, jedoch ohne mich wirklich zu sehen. Ich erklärte die näheren Umstände meiner Beschwerde (zu hören war ich offensichtlich noch) und bekam ein Formular zu geschoben, das ich ausfüllen und einschicken sollte. „Der Nächste bitte!“

Als jedoch ein paar Minuten später, auf dem Parkplatz vor dem Behördenzentrum, jemand mit Schwung rückwärts ausparkte und mein kleines Auto touchierte, dachte ich nur noch, während ich dem davon brausenden Fahrer hinterher sah: "Verdammt! Jetzt ist auch noch mein Auto unsichtbar."

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11. April 2018

aus dem geheimen Kodex der Kobolde


verschwende deine Gaben im richtigen Augenblick ! 

(3. erdige Weisheit des Koboldkodex)

1. April 2018

Erinnerung



NEUNZEHNHUNDERTVIERUNDACHTZIG

Ein Leben lang kann ich nicht warten,

das sah ich endlich schmerzlich ein;

ich packe meine Siebensachen

und lebe erst einmal allein.

Ich packe ein,

die Hoffnung und die Sehnsucht,

falte sie sorgsam, ordentlich.

Ich weiß, ich werde sie noch brauchen,

zurzeit sind sie fast hinderlich.

Ein Stückchen Hoffnung

steck ich in die Tasche,

damit es schon mal greifbar ist,

an dem Beginn des neuen Lebens

genügt es für die erste Frist.

Das Bündel der verlorenen Jahre

füllt fast den ganzen Koffer aus.

Ballast“, ich sollt ihn liegen lassen

und doch trag ich ihn mit hinaus.

Die Tränen fließen so dazwischen,

in Ecken ist noch Platz genug,

ich nehm sie mit, sie sind die Mahner

vor jedem neuen Selbstbetrug.

Die Träume, sie sind sehr zerknittert,

brauchen viel Pflege, doch nicht jetzt.

Erst später werde ich sie sichten.

Heut bin ich noch zu sehr verletzt.

Den Glauben meiner fernen Kindheit

verlor ich, doch das macht mich frei,

für neues Wissen und Erkennen,

ich fühl mich froh und leicht dabei.

Er ist randvoll, mein kleiner Koffer,

die Liebe passt nicht mehr hinein.

Ich zieh sie an, sie wird mich wärmen,

mein Schutz vor Menschenkälte sein.

Ein letzter Blick noch in die Runde,

ich weiß der Abschied ist für immer,

denn wenn ich jetzt endgültig gehe,

bleibt nur zurück ein leeres Zimmer.



Dezember 1992
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8. September 2017

für meine Tochter

...sieh an, da hat doch eine Freundin mein Gedicht auf Facebook gepostet...


Geh einfach

Ob du durchs Licht von Sonnen gehst
oder durch die Schatten fliehst.
Ob der Stab gebrochen wird
oder dein Schicksal: Nova ist;
nichts kann dich hemmen oder binden.
Selbst hinter Mauern bist du frei.
Lös meine Hand, wenn ich dich halte,
es ist kein Risiko dabei.

Greif einfach mutig in die Flamme,
verwebe Dunkelheit und Licht
und achte nicht auf Neid und Warnung:
Im eignen Stern verbrennst du nicht.


Stephanie Ursula Gogolin

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