30. November 2010

Ich habe neulich...


Ich habe neulich Frau Holle gesehen, sie kam aus dem Wald ...
nein, nicht das Mützchen voll Schnee. Auch heuer gibt es noch keinen Schnee!
 
Und Mützchen konnte man die mächtige Haube der Hohen Frau auch nicht gerade nennen. Mit ihren ausladenen Röcken nahm sie fast den ganzen Gehweg ein. Ja, sie war schon eine prächtige Erscheinung. Ich staunte nicht schlecht, dass sie einfach so in ihrer Allgewaltigkeit durch unsere Dorfstraße lief. 
Neugierig wie ich nun mal bin, schlenderte ich so unauffällig wie möglich, hinter ihr her - kann es sein, dass sie auch heute von Zeit zu Zeit die Menschen besucht? In die Fenster schaut, verlorene Kinder anspricht, vergeblich den Dorfbrunnen sucht und auch sonst keinen täglichen Frauentreffpunkt mehr findet? 
Das kleine Cafe in der Bäckerei an der Ecke, schien ihr Ziel zu sein und so folgte ich ihr dahin. Der Raum war vormittäglich leer. Ein  Banker von nebenan, vertiefte sich in eine Zeitung und zwei ältere Damen rührten Süßstoff in ihre Tassen. Frau Holle suchte sich einen netten Fensterplatz und beobachtete die vorbei fahrenden Autos.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und mit einem „Darf ich“, setzte ich mich zu ihr an den Tisch. Überflüssig zu sagen, dass mir das Herz bis zum Halse klopfte.
„Einen Cappuccino bitte“, rief die holde Frau mit gewaltiger Stimme zur Kuchentheke hinüber, wo die vor sich hin sortierende Verkäuferin leicht zusammenzuckte und alle anderen verstört aufblickten.
Den Cappuccino bekam ich dann vorgesetzt, weil die Bedienung SIE einfach nicht gesehen hat...



Stephanie Ursula Gogolin, Troisdorf 2006, überarb. 2010

27. November 2010

... und noch mal!

Um das Thema abzuschließen, noch eine Geschichte aus dem Zyklus: Meine kleine Wohnung!

Mein Weihnachtsbaum

Einmal im Advent gebe ich mir den Weihnachtsmarktrausch. 


Nur Sehen, Hören, Riechen. Die große Tanne vor dem Rathaus, blitzende Lichter, den Geruch von gebrannten Mandeln, Berge von Holzspielzeug, bunte Buden, Weihnachtslieder und Glühweinduft in der Luft - lieblich, friedlich, verkaufsfördernd. Ich bummele von Stand zu Stand und komme mir vor wie in einer Zeitschleife. Denke an Kindertage oder daran, dass die Kulisse um mich herum im vorigen Jahr haargenau so aussah. 

Am Brunnen, mitten auf dem Marktplatz steht der unvermeidliche Käfig mit den grünen Weihnachtsgaranten, eingesperrt, gezähmt und gezüchtet für das Fest der Liebe. Einem der Grünlinge war scheinbar die Flucht gelungen. Er stand außerhalb der hohen Umzäunung, hielt ein Schild in den Zweigen und schien die vorbeiflanierenden oder hastenden Weihnachtmarktbesucher anzuflehen: Holt mich hier raus!

Seit zehn Jahren hatte ich mich der Weihnachtsbaum - Aufstell - Tradition verweigert und nun dieser rührende Anblick. Ich glaubte ein leises Schluchzen zu hören. Nachdem erneut eine eilige, tütenbewehrte Weihnachtsfrau den Kleinen fast umgerannt hätte, betrat ich kurz entschlossen mit dem Bäumchen in der Hand den Gefängnishof, holte tief Luft und fragte: Was soll er denn kosten? - Steht doch dran, meine Dame, Zehn Euro!

Für diesen Winzling zehn Euro, ein stolzer Preis! Mein Mitgefühl siegte, der Baum kam ins Netz und ich hatte das Problem meinen Weihnachtsbummel vorzeitig abzubrechen zu müssen. Mit einem Bäumchen unter dem Arm die Geschäfte betreten, das ging ja gar nicht. Und dabei brauchte ich noch dies und das, das und jenes! Da muss ich in den nächsten Tagen wohl noch einmal los ins bunte Glitzer – Kitsch – Getümmel. Während des Heimwegs fiel mir dann noch ein Problem ein. Wohin mit dem kleinen Weihnachtsfreund?

Schreibtisch fällt aus! Nadeln und Kerzenwachs in der Tastatur sind nicht zu empfehlen.


In die Nischen neben dem Fernseher? Da bekomme ich die Schranktür nicht mehr auf.

Ich könnte ein Brett über die Badewanne legen und den Baum darauf stellen, ich bade eh nie und beim Duschen wird er dann schön befeuchtet und die Brandgefahr gemildert. Ob mein Baumschmuck das allerdings überlebt? Ein Dilemma. Da habe ich nun den Kleinen aus dem Getümmel befreit und weiß nicht wohin damit.

Halt, das stimmt ja gar nicht! Meine Zimmerpflanzen hatte ich vor dem ersten Frost gerade noch rechtzeitig vom Balkon gerettet (daher gibt es in meiner Miniwohnung auch absolut keinen freien Platz mehr) aber der Weihnachtsbonsai wird sich dort wohlfühlen. Aus dem Netz erlöst, breitet er dankbar seine Zweige aus und schmiegte sich an meinen Wäschetrockner, ich hörte ihn regelrecht aufatmen. Hier wird es ihm gefallen und sicher findet er es auch gut, dass die Kohlmeisen regelmäßig zum Frühstücken kommen.

Bei meinem Umzugsgut befindet sich schon seit Jahren mein Weihnachtsfundus, eine kleine Holzkiste. Sie enthält kostbare Überbleibsel aus der Zeit, da ich noch mit meinen Kindern zusammen gelebt und die ich aufgehoben habe, obwohl der typische Weihnachtswahnsinn mich schon lange kaum mehr berührt. Vergoldete Holzsterne, die kleinen, Posaune blasenden Blechengel, die ganz alten, bunten Kugeln oder die filigranen, gläsernen Schneekristalle. Ein paar gebastelte Raritäten, wie Zwerge und Engelchen aus Nüssen, Filz und Goldpapier und die Spieluhr in Glockenform. Leider enthält die Kiste keinen Baumständer und so hatte ich noch ein Problem.


Mit Eimer und Schäufelchen bewaffnet (Sandspielzeug, das ein paar der Enkelchen bei mir deponiert hatten), schlich ich mich im Dunkel, also später Nachmittag, zum Garagenfeld (lustig, ein Feld, auf dem Garagen wachsen). Da steht eine große Kiste mit Streusand. Die Winter waren bisher eher knauserig mit Schnee und Glatteis, da wird keiner die rauen Krümel vermissen und ich kann den geklauten Sand ja irgendwann wieder aussetzen.


Jetzt steht er auf dem Balkon, mein Weihnachtsbaum! In einem großen Blumentopf mit Sand gefüllt, auf dem kleinen Tischchen direkt vor meinem Fenster. Ich habe ein paar Meisenringe und Strohsterne aufgehängt und keine Lichterkette. In jedem Vorgarten rundum protzen ohnehin mindestens zwei der Strom verzehrenden, entzückend anzusehenden Dekorationen.

An Weihnachten bin ich übrigens gar nicht zu Hause - Besuch bei den Töchtern. Ich glaube die Ruhe wird dem Bäumchen gut tun!


Stephanie Ursula Gogolin, Lüneburg 24. Dezember 2007 

 

26. November 2010

Merkwürdige Geschichten

aus dem Zyklus: Meine kleine Wohnung!


Es weihnachtet sehr!

Ich mag die Adventszeit und natürlich auch Weihnachten!

Im Treppenhaus hängt bereits seit Tagen die Einladung für die Senioren zum Adventskonzert in Sankt Adebar. Frau Rüstig hat ihren Türkranz gewechselt und neulich zog ein Hauch von Plätzchenduft durchs Haus.

Und eines schönen Morgens war die Wiese vor meinem Balkon und die Dächer der gegenüberliegenden Häuser weiß und über Nacht die Heizung ausgefallen. Ob die beiden Ereignisse ursächlich zusammen hingen, war nicht zu ergründen. Zu allem Überfluss handelte es sich um einem Sonntagmorgen.

Im Haus war es mäuschenstill. Ein völlig ungewohntes Erlebnis. Sie werden doch nicht alle erfroren sein? Kaum vorstellbar bei Null Grad, der Puderzuckerschnee draußen begann bereits zu tauen.

Ich zitterte ins Bad, benutzte zum Zähneputzen entgegen aller Gewohnheit warmes Wasser, dann verpasste ich mir einen Zwiebellook (sieben Kleidungsstücke übereinander). Ich wärmte mich an meiner Kaffeetasse auf und beobachtete den Mann von gegenüber beim gewissenhaften Anbringen einer Lichterkette im Rhododendronbusch, aber richtig warm wurde mir davon auch nicht.

Dann ging ich auf Erkundungstour. Bestimmt hatten diverse Mitbewohnerinnen bereits Frau Schrap – Nehle informiert und so bleibt mir der Anruf bei unser gefürchteten Hauswirtin erspart, obwohl, wenn alle erfroren…, Unsinn! 


Die Nachbarin nebenan stellte grundsätzlich ihre Klingel ab. Sie möchte nicht durch Mitbewohnerinnen oder Nichtigkeiten belästigt werden. Auf Klopfen reagiert sie allergisch. Auf mein verschiedentlich zaghaftes Klingeln öffnete nur Frau Rüstig, die anderen hatten sich vielleicht in diverse Notunterkünfte begeben oder einfach nur die Decke über den Kopf gezogen.

Frau Rüstig versicherte mir, dass Hilfe unterwegs sein und die Innentemperatur im Laufe des Tages in den Wohnungen ansteigen würde. Der Notdienst arbeitete bereits daran. Sie hatte schon im Morgengrauen mit Frau Schrap – Nehle telefoniert und saß nun zuversichtlich in ihrer molligen Decke vor dem Fernsehgerät.

Was tun? Draußen waren die gefühlten Temperaturen höher als in meiner Wohnung und so beschloss ich einen Gang ins Wohngebiet zu unternehmen. In einem der Vorgärten zankten sich ein paar Meisen mit den selten gewordenen Spatzen um den Inhalt eines winzigen Futterhäuschens, während ein dicker Kater begehrlich auf die leichtsinnigen Piepmätze schielte. Ich schlenderte zwischen den Wohnblöcken und Einfamilienhäuschen umher und atmete tief durch. Dort über dem Zaun hingen immer noch ein paar Rosen und in den Fenster die erste liebliche Weihnachtsdekoration. Vor Haustür gegenüber war der ausgehöhlte Kürbis einem beleuchteten Schneemann gewichen und auf der anderen Seite hing am Balkon tatsächlich schon so ein mannsgroßer Nikolaus mit Sack und roter Zipfelmütze. Vielleicht war es aber auch ein geschickt verkleideter Einbrecher, der die Gelegenheit nutzte, dass die Heizungen ausgefallen sind und die Bewohner im Kälteschlaf lagen.

Doch dann fiel mir auf, trotz Sonntagvormittag waren erstaunlich viele Leute unterwegs. Scheinbar waren viele Wohnungen kalt. Es wurden immer mehr! Bis mir dann klar wurde, das sind keine Spaziergänger oder Wohnungsflüchter, die da der Innenstadt entgegen strebten, sondern potentielle Weihnachtsmarktbesucher. Ich geriet einen kurzen Moment in Versuchung mich ihnen anzuschließen. Aber nein, damit warte ich noch ein paar Tage, das muss ich ja nun nicht wirklich schon Ende November haben und dass wird doch heute nicht der einzige winterliche Morgen gewesen sein. Denn mal ehrlich, so ein Weihnachtsmarkt macht mit einem Hauch von richtigem Schnee einfach mehr Spaß…


Stephanie Gogolin, Lüneburg, November 2007

14. November 2010

13. November 2010

Das Lied der Stille



Das Lied der Stille
ist ein Lied ohne Ton
und klang Augenblicke
lang in meinem Raum,
getrennt vom Dröhnen
und lärmender Qual.
Es singt nicht
und schwingt nicht,
selbst wenn ich es will.
Es steht ruhig und mächtig
und still!

Und so wünscht ich mir
mehr und mehr
Nichts zu hören!

Doch wirkliche Stille
ist leicht zu verstören
Ich kann dieses lautlose
Lied nicht halten
Das zwischen Ewigkeiten geboren!
Zermahlen im Alltag
geht es verloren
Weil ihm ein jeder 
die Existenz verwehrt!
Dem Lied der Stille
das kaum einer hört



... für alle, die sich ab und zu nach Ruhe sehnen, 
Stille geniessen können und der Lautlosigkeit huldigen...

31. Oktober 2010

10. Oktober 2010

Geschichten aus dem Treppenhaus I


Schäfchen ist verschwunden

In der Erkerecke hinter den großen Zimmerpflanzen, raschelt und knistert es. Hanna kriecht auf allen Vieren um die Blumentöpfe herum. Sie spielt Schäfchen hat Geburtstag. Sie möchte ihrem Lieblingskuscheltier ein selbst verpacktes Päckchen und einen Knetekuchen mit Bauklötzchenkerze schenken. Sie schickt ihre Schwester Paula aus um Schäfchen zu holen. 

Aber Schäfchen ist nicht da. Sie sucht im Kinderzimmer, im Bad, im Treppenhaus. Beim Mittagessen hatte Schäfchen noch mit am Tisch gesessen! Und beim Vorlesen in der Mittagspause hielt es Hanna noch im Arm? Doch danach?

Paula sagt: „Schäfchen ist weg!“

Hanna jammert, ihr Schäfchen ist nicht mehr da. Alle müssen suchen. Die ganze Familie, Oma, Mama, Paula, Hanna - alle laufen treppauf und treppab - Schäfchen bleibt verschwunden - jeder guckt in jedes Zimmer und in jede Ecke - kein Schäfchen. 

Hanna fängt an zu weinen, na genau genommen brüllt sie, was das Zeug hält. Untröstlich weint sie dicke Tränen in den Teppich. Sie lässt sich nicht beruhigen.

Während Johanna unter dem Tisch schluchzt, beraten erschöpft bei Kaffee und Apfelsaft, Oma, Mama und Paula, wo sie noch suchen könnten. Alle haben alles abgesucht! - Den Einkaufskorb umgestülpt, unter jedes Kissen gesehen, in den Spielzeugkisten, auch auf dem Sesseln auf dem Balkon. Kein Schäfchen!

Das Telefon klingelt! Mama geht telefonieren. Hanna heult noch immer. Paula streichelt ihre Schwester.

Oma geht in den Keller an die Waschmaschine. Die Bezüge der Kinderbetten sind fertig gewaschen. Oma nimmt die Wäsche aus der Maschine und Schäfchen sagt: “Ich war noch gar nicht so schmutzig” und dabei guckt das nasse Schäfchen ganz vorwurfsvoll.
 












Kindergeschichte aus der Reihe: Geschichten aus dem Treppenhaus

© Stephanie Ursula Gogolin, Bonn 2003

6. Oktober 2010

ausprobiert


...natürlich musste ich da mit machen und was kam nach der blitzartigen Analyse heraus:


Ingeborg Bachmann
 


...das hätte ich nicht gedacht! Als Analysetext stellt ich mein untenstehendes KurzUndProsa zur Begutachtung:




Projekt Abschied


Den Tod sollte man nicht erklären, sondern akzeptieren. Und es gilt sich vorzubereiten. An einem milden Herbsttag, mit Rasenmähergeräuschen und ersten Gänseformationen, die keilförmig fern das trübe Grau über mir belebten, wurde mir meine Endlichkeit bewusst
und ich beschloss meine beginnende Karriere als Schriftsteller zu unterbrechen, um erste Vorbereitungen zu treffen. 


Als erstes suchte ich im Anzeigenteil nach einem Job. Ich musste Geld verdienen, um die immensen Kosten einer Beerdigung bereitzustellen. Um dem Tod ins Auge sehen zu können, musste ich mich erst einmal dem Leben zuwenden. Ich trug Papiere zusammen, überlegte, wer wohl bei meinem letzten Gang anwesend sein würde und was ich aufwenden müsste, um selbige zu beeindrucken. Ich studierte die Angebote der Bestatter und Steinmetze und verfasste eine Liste.

Es war schwierig eine opulente, aber kostengünstige Abschiedsfeier zusammenzustellen, da es nicht üblich ist, die Dienstleistungen von verschiedenen Instituten zu kombinieren. Keiner hatte ein, mir attraktiv scheinendes aber preiswertes Paket in seiner Auswahl. Ich stand kurz davor, das anstrengende Vorbereiten meines würdigen Ende auszusetzen. Vielleicht würde ich mich eines Tages in Luft auflösen. Oder die Traditionen und gesetzlichen Vorschriften in puncto Bestattung würden sich ändern und außer einem dezenten Kranz Gänseblümchen und einem lieblichen Lied aus Kinderkehlen am Wiesengrab, wäre jeder Pomp und eitle Aufwand verboten.


Vielleicht sollte ich es auch darauf ankommen lassen und mein, eines Tages unausweichliches, eigenes Ende einfach ignorieren. Denn wenn ein Mensch aus dem Leben scheidet, hat er den Vorteil sich keine Gedanken mehr machen zu müssen, wie es weitergeht. Für ihn beginnt endlich der natürliche Kreislauf, den es in unserem durchzivilisierten Leben schon lange nicht mehr gibt. Ich brauchte ein paar Tage, um auch dieses Tief zu überwinden und die Trauer um meinen eigenen Verlust abzuschließen.


Das Bewerbungsgespräch die Woche drauf verlief besser als ich dachte und auf die Frage: „...warum möchten Sie in unserem Unternehmen tätig sein?“, antwortete ich wahrheitsgemäß: „Ich muss für meine Beerdigung Geld verdienen!“. Der Abteilungsleiter fasste das als Scherz auf und stellte mich trotzdem ein. Ich hatte eine leichte Arbeit. Es galt die Särge, die vom Fließband liefen, auf Vollständigkeit zu überprüfen und Sägespäne einzufüllen. Eine Kollegin, die nebenan arbeitete, schlug anschließend den Innenraum des Schreins mit weißer Kunstseide aus und tackerte sie unauffällig fest.


Manchmal frühstückten wir zusammen. Da sie sehr zurückhaltend war, lag die Last der Unterhaltung bei mir. „Hast du schon für deine Beerdigung vorgesorgt?“ - „Ich bin fünfundzwanzig!“ - „Naja, ich meine ja nur, wo wir doch hier arbeiten!“ 

Plötzlich war es mir peinlich über meine eigenen Beweggründe zu sprechen.

Sie war eine stille, aber nette Person und nach und nach kamen wir uns näher. Es gehörte auch zu meinen Aufgaben kurz vor Feierabend alles aufräumen und die Halle zu fegen. Immer wieder ertappte ich mich, dass ich sehnsuchtsvoll in den leeren Nebenraum starrte und wünschte sie wäre noch nicht nach Haus gegangen. Aber Komplikationen dieser Art konnte ich eigentlich nicht gebrauchen, schließlich hatte ich errechnet, dass ich etwa fünf Jahre ein sparsames Leben führen müsste, um dann beruhigt meinem Ende entgegen zu sehen. So verging die Zeit und das Projekt: Abschied gestaltete sich immer besser, ebenso das Verhältnis zu meiner Kollegin, die übrigens Anika hieß.


Seit jenem milden Herbsttag sind fast sechs Jahre vergangen. Inzwischen habe ich den Bereich Fertigung übernommen, meine stille, aber zauberhafte Kollegin geheiratet und im Mai erwarten wir unser erstes Kind. Und was das Beste ist, als Mitarbeiter der Firma bekomme ich später einmal einen kostenlosen Sarg und somit konnte ich diesen Punkt schon mal von meiner Liste streichen.


 

20. September 2010

... eine Antwort auf Hermann Hesse

September

Der Garten lächelt freundlich, weise,

die Sonne küsst die letzte Blume,
der Sommer sieht sich um und geht!
Beginnt die altbekannte Reise.
Er geht und das nicht immer leise.
Die Lerche singt jetzt Abschiedslieder,
im nächsten Jahr sehn wir uns wieder.

Die ersten Blätter lösen sich vom Ast

um einzugehen in den großen Kreis
des Wachsens, Werdens und Vergehns.
Sie fallen, abgelegte Last, in 

meinem Garten waren sie nur Gast.
Bald hängen bloß noch ihrer drei,
  wehmütig gibt der Baum auch diese frei.

Die Rose freun sich auf die letzten Tage.

Da steht sie nun in ihrer Pracht allein.
Die dicke Spinne spinnt noch einen Faden,
sie hört nicht auf der Mücken Klage -
Natur ist nicht Gewissensfrage.
Im kahlen Busch ein goldner Schein.
Der Herbst hält seinen Einzug ein!



Stephanie Ursula Gogolin 2005/ 2010

... quasi inspiriert von Hermann Hesse, dessen Gedichte wunderbar, aber noch viel elegischer sind als meine...


5. September 2010

Sommerhaar


Rosig duftende Blüten im Sommerhaar
silberne Bänder und grüne Schleifen
im Vorübergehen Wangen streifen
weiches wehendes Sommerhaar
fängt blitzende sonnige Funken
und weißes Mondlicht so klar
Sommerhaar, Sommerhaar
fliegt seidig beschwingt
säumt Fluß und Bäche
deckt Berge und Tal
die Tiefe der Meere
misst es sogar
Sommerhaar





Stephanie Ursula Gogolin, Lüneburg,  Juli 2010

26. August 2010

noch ein Gedicht...


Kein Wort an Kain

Du bist Deines Bruders Hüter!

Und auch im Neid
erschlägst Du ihn nicht.
Du beschützt ihn!
Du vergibst ihm!

Weil Du,
eben nicht sein Bruder,
sondern seine Schwester bist.




Stephanie Ursula Gogolin, Lüneburg Januar 2008 

22. August 2010

Der alleinerziehende Gottvater

Eine Glosse von Stephanie Ursula Gogolin

Um die Menschheit aus ihrer Sündigkeit zu erretten, schickte Gottvater seinen einzigen Sohn, als Erlöser in die politisch aufgewühlte Welt der Antike. 

Die Römer machten sich gerade rund um das Mittelmeer breit, das hellenistische Niveau war immer noch die damalige Leitkultur, das Pharaonenreich ging endgültig seinem Niedergang entgegen und den Germanen und Kelten war man auch bereits auf die Füße getreten. Überall rangen Völker um ihre Autonomie und in diesen Macht- und Kulturkämpfen, die auf und neben der politischen Bühne tobten, verloren die Frauen der damaligen Zeit immer mehr ihre Freiheit, ihre Würde und ihre Heiligkeit.

Was oder wen sollte Jesus denn eigentlich retten? Was war seine Mission? Wie lautete sein Auftrag? - Ach ja: „ Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst!“ Ein harter Job und ein gefährliches Unterfangen, wie wir wissen. Arbeit für einen erwachsenen, wortgewandten Mann. Aber zuerst, so schnell ist nun Gottes Plan auch nicht umgesetzt, war der Messias, wie alle Männer, ein Kind.
Und wie wuchs der kleine Jesus auf? 

Richtig - in der Obhut einer menschlichen Mutter! Was hatte der Junge für ein Glück. Es gab auch einen Pflegevater, dem die Bibel einen guten Leumund bescheinigt. Wahrscheinlich hatte der kleine Erlöser sogar Geschwister. Er genoss jedenfalls die Geborgenheit und den Schutz einer damaligen Familie vom Lande. 

Den spärlichen Angaben zufolge wird der junge Jesus, wie wir es heute nennen würden, ein hochbegabtes Kind gewesen sein. Einer von dem Großes zu erwarten ist. Jedoch in einem Staat, der sich im kulturellen Umbruch befindet, mit einer Besatzungsmacht im Land und intriganten politischen Verhältnissen, ist es nicht einfach göttliche Visionen zu verwirklichen. Da wird auch der einfache Wunsch nach Freiheit oder erträglichen Lebensbedingungen schnell zur Lebensgefahr.

Nichtsdestotrotz hat der inzwischen vom alttestamentarischen zum christlichen Gott mutierte Übervater nachträglich den zweifelhaften ideologischen Verdienst eingeheimst, der Menschheit die Gelegenheit gegeben zu haben, von der Sünde, die sie angeblich seit der Sache mit Eva und dem Apfel mit sich herumgeschleppten, erlöst zu werden.
 

Die weltlichen Katastrophen, die Jesus zu seinen Lebzeiten durchstehen musste, wurden plötzlich zu Gottes weitsichtiger Zielsetzung. Sollte jedoch hinter der Opferrolle des Sohnes tatsächlich ein Plan des Vater gestanden haben,dann bin ich froh, nicht mit ihm verwandt zu sein.

Mit Ach und Krach kommt also die Mutter des Messias in den Evangelien vor, die Großmütter spielen schon keine Rolle mehr. Bei der Geburt des kleinen Jesus im Stall wurde auch noch auf fatale Weise die Mutter mit der Magd verwechslt und der Einfachheit halber die Bezeichnung gleich für alle Mütter beibehalten, mit der Auflage, sich ab jetzt gehorchend und hingebungsvoll als Dienerin am Sohne des Vaters, des Herrn, zu präsentieren.


Die Idee das Kind nur vorübergehend in weibliche Obhut gegeben, hat auch sofort Schule gemacht. Maria betreute also ihren Sohn bis Gottvater die Zeit für die Vollendung der Mission gekommen sah. Das kennen wir ja, die Verfügungsgewalt des Vaters bzw. der Vätergemeinschaft bedeutet durch die Zeiten hindurch immer wieder, dass sie ihre Kinder in Tod und Verderben schicken dürfen.


Oder gab es diesen hinterhältigen „Heils“Plan vielleicht gar nicht? 

Und es war alles ganz anders und Jesus war sozusagen doch der letzte Sohn der verlorenen matriarchalen Verhältnisse? Diverse TheologInnen erkennen schon lange die weiblichen Werte in den Lehren des Jesus und deuten die christliche Lehre gern mal als den Auftakt in ein neues Zeitalter. Die weniger optimistischen sehen darin den Niedergang der weiblichen Ära.

Nun ja, da Gott seinen einzigen Sohn für die Sünden der Welt am Kreuz geopfert hat und zuvor eine Heirat mit einer menschlichen Frau völlig indiskutabel war, sind auch keine Nachkommen überliefert. Es sei, es kam doch irgendwie zum Sakrileg, doch das wissen wir nicht genau.
 

So gilt zwar Gott immer als Vater, zum Groß(en)Vater hat er es nicht gebracht. Vielleicht ist das die Strafe dafür, dass er sich als Gott der Väter über Seine Mutter erhoben und sie ignoriert und verleugnete...



gekürzte Fassung, Lüneburg, 2007

17. August 2010

Weil wir grad bei den Hexen sind...

Pantun II

Fahre zur Hölle Hexe
In deinem Kessel kocht der Tod
Doch Hel erwartet ihre Töchter
Ihr wisst nicht was ihr tut

In deinem Kessel kocht der Tod
Der Sturm zerschlägt die Ernte
Ihr wisst nicht was ihr tut
und auf euch liegt des Blutes Fluch

Der Sturm zerschlägt die Ernte
Das Vieh zugrunde geht
und auf euch liegt des Blutes Fluch
Reißt aus die Hexenkräuter

Das Vieh zugrunde geht
Vernichtet sie und ihren Spruch
Reißt aus die Hexenkräuter
Mit Kreuz und Fackel ziehet aus

Vernichtet sie und ihren Spruch
Dass Pest und Hagel mag vergehen
Mit Kreuz und Fackel ziehet aus
So mag sie in den Flammen stehen

Dass Pest und Hagel mag vergehen
Fahre zur Hölle Hexe
So mag sie in den Flammen stehen   
Doch Hel erwartet ihre Töchter


Stephanie Ursula Gogolin, Juli 2005
 

... ein Pantun ist eine, aus Indonesien (oder ist es malaiischen Ursprungs) stammende lyrische Form (frau kann es bei Interesse googlen), die vor allem vorgetragen wird. In dem Verlauf wiederholen sich alle Zeilen einmal nach einem vorgegebenen Schema und der Beginn bildet auch den Abschluss. Es gibt verschiedene Längen und es muss sich auch nicht zwingend reimen ... ich habe das mal im Literaturatelier im Bonner Frauenmuseum ausprobiert und hatte eine entsprechende Vorlage ... lang ist es her! 


Mehr zum Thema Hexen beim Waschweib

10. August 2010

Ich war ein kleines Mädchen


Ich war ein kleines Mädchen, geboren zwischen warmen Händen und weichen Fellen, denn draußen war es bitter kalt.

Ich war ein kleines Mädchen und die Frauen, die meine Mutter umringten, sangen und lachten zu meinen ersten Atemzügen. Ich wurde aufgehoben und in die rauen Hände einer Frau gelegt, die über mein Gesicht leckte und in mein Ohr flüsterte: Danke kleine Ahnin, dass du zu uns kamst…

Während all die hilfreichen Hände die junge Frau, die meine Mutter war, umsorgten, bettete mich meine Großmutter zwischen ihre üppigen Brüste und ich sog tief den mütterlichen Geruch ein. Eine der jungen Frauen, die am Eingang hockten, schlug ein wenig die Häute zur Seite. Ein heller Streifen fiel auf mich und so erblickte ich das Licht der Welt!


Noch wusste ich nicht, dass mein Name „Kleine Sonne“, nicht nur meinen Geburtszeitpunkt bezeichnete, sondern mir auch einen besonderen Platz in der Sippe bescheren würde. Geboren in der Nacht und in den Tag hinein, da das große Licht wieder aufs Neue aus der Dunkelheit zurückkehrte und die Mütter das Leben feierten….


Ich wuchs heran – zwischen den Schwestern und Brüdern meiner Sippe, mit dem wilden Wasser, den geduldigen Steinen und den Bäumen, die mich liebten.


An diesem Wohnplatz lebte die Sippe schon sehr lange. Auch meine Mutter hatte ihre ganze Lebenszeit hier verbracht. Sie kannte jede Pflanze und jedes Tier, das mit uns das Lager teilte. Sie nährte mich und meine Schwestern spielten mit mir. Meine Großmutter jedoch wachte über uns alle.


Ich wurde größer. Schon früh kannte ich die Lieder unserer Sippe. Ich hörte sie, während ich einschlief und sang sie, wenn ich morgens erwachte und mit den Geschwistern zum Waldrand lief. Ich flocht aus Binsen die Körbchen, die wir zum Sammeln brauchten und für die Schwestern Bänder mit Blumen und Steinen.


Außer meinen geschickten Fingern, besaß ich auch besonders klare Augen. Fand ich doch meist die schönsten Steine für unseren Kreis, den wir unter dem Felsüberhang auslegten. Dort versammelten wir Kinder uns am Abend um dem Sagen der Großmutter zu lauschen. Meine Tage als kleine Frau gingen dahin in Geborgenheit und Spielen und Lachen. Die Mütter, die Muhmen, zeigten mir das Brennen von Ton und das Bearbeiten von Häuten. Die Mütter der Mütter lehrten uns das Erkennen der grünen Schwestern, welche wir als Nahrung annehmen konnten und welche uns Heilung brachten. Und unser Mutterbruder lehrte mich zu fischen und einen Speer zu werfen.


Bald hatte ich auch genug Kraft die Steine zu ritzen. Für Heller Mond, einen meiner Brüder, der schneller lief als alle in der Sippe, schlug ich aus einem der gefundenen Steine sein Totem, einen Hasen. Und für Weiße Eule fertige ich einen Eulenstein. Es war leicht am Strand die Formen zu finden. Sie
sprangen mir fast von selbst in die Hand. Mit wenigen Schlägen oder längerem Riefen verwandelte ich sie in in Amulette für die Meinen. Sie nannten mich die Schnitzerin der Steine. Die Ahninnen begleiteten meine Suche und mein Tun... 


eine Medivision
© von Stephanie Ursula Gogolin


ein Fund aus der Sammlung meiner Freundin Nelly
 

5. August 2010

Freundinnen

… ein wenig sitzen
ein bisschen Ruhe
Gedanken springen
zum Morgen zurück

Das Telefon läutet

heraus tropfen Tränen
entschlossener Wut
denn meine Freundin
trennt sich
von ihrem Mann!

Sie trennt sich und wütet

Sie richtet und rechtet
Sie ist bereit den
gemeinsamen Alltag
zu den Akten zulegen
und die letzten Gespräche
in die Tonne zu treten!
Romantik will sie
im Antikmarkt verkaufen!
Gemeinsamkeiten bei
ebay versteigern,
Sie will das bisherige
Leben verweigern
und endlich alles
ab heute verändern!

Ich höre ihr zu

Ich weiß wie sie leidet

und nächste Woche
spricht sie
nicht mehr davon! 

1. August 2010

Satire die Vierte


Mein Briefkasten

Jeden Mittag ist es für mich ein besonderes Highlight erwartungsvoll die Treppe hinunter zu meinen Briefkasten zu gehen. Aber nicht nur die Aussicht auf frohe Kunde treibt mich an, es ist auch unbedingt notwendig den winzigen Postkasten regelmäßig zu leeren. Wirkliche Post bekomme ich ja höchst selten. Wer schreibt schon noch bei den günstigen Telefontarifen oder der fixen Möglichkeit eine Email zu versenden. Trotzdem ist das Behältnis, welches der Fernkommunikation dient, fast täglich brechend voll.


Die Briefkästen in unserem Haus stammen noch aus der Zeit, da sie in erster Linie nette kleine Briefumschläge, vielleicht auch eine dünne Tageszeitung beherbergen mussten. Umschläge in B4größe erfand man wohl erst später. Dementsprechend spärlich ist ihr Aufnahmevolumen. In unserem Haus gibt es trotz acht Mietparteien übrigens nicht eine Tageszeitungsabonnementin. Ich vermute mal, das hat auch etwas mit dem Format einer klassischen Tageszeitung zu tun, ich wüsste auch nicht wo in meiner Wohnung ich sie komplett aufschlagen könnte.

Trotzdem braucht der durchschnittliche Tageszeitungsnichtabonnent auf wichtige Informationen über Land und Leute, Gott und die Welt, Fug und Recht, nicht zu verzichten. Jede Gemeinde, jeder Landkreis, von größeren Städten ganz zu schweigen, besitzt mindestens ein Wochenblatt, das kostenlos und unaufgefordert ins Haus kommt.


Da gibt es beispielsweise den „Geschäftsanzeiger“ und den „Stadtboten“, die „Landpost“ und den Pfarrbrief, die „AnzeigenTafel“ und der „Ortskundige“, den „Ausblick“ und den „Einblick“!


Kiloweise Papier, schwarz-weiß und farbig und fünfundachtzig Prozent davon fliegt ungelesen in den Altpapiercontainer (laut Statistik des Bundesamtes für Baum- und Leserschutz). Aber erst einmal werden diese gewaltigen Papiermassen Woche für Woche und Tag für Tag auf die Briefkästen der nach Information und Unterhaltung lechzenden Bevölkerung verteilt.

Acht schmale Öffnungen untereinander, dekoriert mit der geballten Ladung an Neuigkeiten, zieren die Front neben unserer Haustür. Meist hängt die brachial hinein gestopfte Zeitungsrolle, welche aus ein wenig lokaler Information, dem Immobilienteil, gedruckten Werbebotschaften und zu dreiviertel aus eingelegten Prospekten besteht, hälftig außen aus dem schlanken Briefschlitz. Wenn der Wind ungünstig steht, ist das Papier bei Regenwetter auch schon mal nass und wird zu einem lustigen bunten Klumpen Pappmache.

Natürlich habe ich auch schon überlegt,
mir eines dieser neckischen Klebeschildchen zu besorgen: BITTE KEINE WERBUNG; vielleicht sogar das, mit der Abbildung eines drohenden fletschenden Säbelzahntigers. Aber das würde auch nicht die Beilagen in den Wochenblättern verhindern. Außerdem bekäme ich dann auch nicht mehr den Prospekt von „Kaufmich“. Nicht das mir die Angebote dort wirklich fehlen würden, ich gehe da eh nur hin, um ab und zu meine Dose „Cappuccino ungesüßt“ zu kaufen. Aber in dem Prospekt ist nicht nur jede Woche ein Rätsel auf der letzten Seite, nein, neuerdings auch eines von diesen Sudoku – Kästchen. Ich bin süchtig nach Sudoku.

Ab September sind die Werbebotschaften auch immer ganz besonders prächtig gestaltet um uns liebevoll aufs Weihnachtsfest einzustimmen. Es ist stets beeindruckend, die rot und golden, zuckersüßen Sinnlosigkeiten in all ihrer Vielfalt jedes Jahr aufs Neue angeboten zu bekommen, nur mit dem Unterschied, dass der Endverbrauchen mehr dafür bezahlt, als die Jahre zuvor. Die Botschaften besagen natürlich das Gegenteil. Und auch wenn der Kunde es gern glaubt, so ein kleiner bohrender Gedanke der Skepsis bleibt. All die Beteuerungen: „Nichts weiter als billig“, „Fast kein Preis“ und „Ungeheuer - niemals teuer“ oder suggestive Schmeicheleien wie „Sei klug im Nu und Greife zu“, kommen immer wieder recht massiv daher um die Kundschaft kollektiv zu becircen. Und auch mir fällt gelegentlich die Entscheidung schwer. Gehe ich lieber zur Einkaufsgruppe „Trallala“ oder zu „Hopsasa“ oder gar zum familienfreundlichen Supermarkt „happyfamily“, die Butter kostet überall das gleiche.

Von Zeit zu Zeit jedoch liegt auch ein echter Brief in dem flachen Fach. Also ich meine einen persönlichen, von einem anderen Menschen exklusiv für mich verfasst. Keine Rechnung oder so ein hochwichtiges Schreiben von Lotteriebetreibern oder eine Einladungen zur Eröffnung des neuen Friseurs um die Ecke oder gar zum Adventkonzert im Senioren – Treff. Nein, ein Umschlag mit handgeschriebener Adresse und richtiger Briefmarke und keinem seelenlosen Stempel in der Ecke.

Der besagte Brief kommt dann meist von meiner Freundin Inge, die ein bisschen JWD (janz weit draußen) wohnt. Sie hat aus Prinzip kein Telefon (man muss nicht ständig erreichbar sein) und aus religiösen Gründen keinen Computer (Teufelswerk). Ihre Korrespondenz mit der Außenwelt holt sie sich einmal die Woche bei der nächsten Postfiliale ab und selbstredend kommt auch kein noch so gut meinender Prospekteausträger bis zu ihr raus.

Heute war es wieder soweit, in meinem Briefkasten, eingeklemmt zwischen vielen bunten Seiten und dem freundlichen Angebot der Kreti - Pleti – Bank meine überflüssigen Millionen zu veruntreu…, äh zu verwalten, lag doch tatsächlich ein handadressierter Brief in meinem zierlichen Kommunikationsaufnahmebehälter.

Erfreut endlich wieder etwas von meiner lieben Freundin Inge zuhören, öffnete ich noch im Treppenhaus den Umschlag. Und was teilt sie mir mit? Ich möchte doch mal bitte im neuen Rinaldi – Prospekt nach sehen, ob es in der nächsten Woche die preiswerten Computer gibt – ach was! Sie wolle sich jetzt doch so einen Zauberkasten zulegen und dann kann sie auch endlich Emails verschicken und wir würden viel öfter von einander hören bzw. lesen.

Schade, dann werde ich wohl gar keinen persönlichen Brief mehr bekommen!


aus der Reihe: Meine kleine Wohnung
Stephanie Ursula Gogolin, Lüneburg, November 2007

22. Juli 2010

Global

für die gedichteliebende Irmi


... ich ging durch meinen Garten!
Er war so kahl und leer.
Die Rose, die dort einst blühte,
die gab es längst nicht mehr.
Verschwunden Veilchen, Astern
Narzissen und Löwenmaul,
auf dürren, stachligen Zweigen
lag Schnee nur, dick und faul.

Ich wollt dein Herz erfreuen,
mit Blümelein, so zart!
Den Laden an der Ecke
verzweifelt ich betrat.
Dort standen hunderte Blüten,
die ich sonst nur im Sommer sah.
Ich kauft schnell eine Rose,
sie kam aus Afrika...
Stephanie Gogolin, 22.07.10

21. Juli 2010

Satire die Dritte

Mittagspause

… behutsam trage ich meinen Teller in die Küche Den Tisch habe ich gleich nach dem Kochen vorsichtshalber mit einem weichen Frotteehandtuch ausgelegt und darauf stelle ich andächtig das Geschirr ab. Verflixt, die Gabel kommt ins Rutschen und …im letzten Moment kann ich den drohenden Zwischenfall, in Form eines durchdringenden Schepperns auf den Küchenfliesen, verhindern. Abwasch? Später! Den abgestürzten Grieß aufsaugen - später! Den penetranten Ohrwurm vor mich hin pfeifen – später! Auf weichen Socken verlasse ich die Küche.


Plötzlich erfüllt ein ohrenbetäubendes Dröhnen und Rattern in der Luft. Der Fußboden bebt und das Badfenster klirrt. Ich sprinte zum Balkon – nein, es sind keine Invasionstruppen und auch kein Abrissbagger am Nachbarhaus. Es ist nur der Rasenmähermann!


Der nette ältere Herr, der den so genannten Hausmeisterposten innehat, rückt den, eh schon kurzen Grashalmen, nachdrücklich zu Leibe. Stolz zieht er auf einem dieser niedlichen Kleintrecker, die die Rasenareale kurz halten, seine Runden um das Haus und fährt geschickt auf der großen Grünfläche vor unseren Balkons auf und ab. So was dauert natürlich. Ich werfe einen Blick auf die Uhr, tatsächlich: Dreizehn Uhr Fünfundvierzig.


Jede die schon mal in einem Mietshaus wohnte, weiß was das heißt! MITTAGSRUHE! Mag es sonst Tag und Nacht munter zugehen in unserem Bienenstock, es gibt eine Ausnahme, die Mittagszeit.


Mit meinem Nachtisch in der Hand (Magermilchjoghurt) lehne mich auf die Balkonbrüstung und harre des Unterhaltungsprogramms, das jetzt gleich beginnen wird.


Die Ouvertüre: In den Häusern gegenüber werden empört nachdrücklich einige Terrassentüren und Fenster geschlossen!


Erster Akt: Die Balkontüren in unserem Haus öffnen sich! Von unten weht Zigarettenrauch nach oben.
„Dass ist doch jedes Mal dasselbe“, dringt jetzt eine scharfe Stimme zu mir herauf.

Ich nicke heftig, kann aber den Mund nicht öffnen, da ich gerade einen großen Löffel Magermilchjoghurt, … na ja was hätte ich auch sagen sollen.


Von links kommt die resolute Kampfansage: „Ich rufe jetzt sofort Frau Schrap – Nehle an, das ist mir ganz egal, ob Mittagszeit oder nicht!“


Von mehreren Seiten Zustimmung und Beifall. Die anderen haben sich inzwischen auch eingefunden.


Eine zaghafte Stimme kommt von nebenan: „Wir können ihr ja am Mittwoch Bescheid sagen.“


(Mittwoch hat die Hausvermieterin von 6.30 bis 11.00 Uhr Sprechzeiten. Sie gehört zu der „Morgenstund hat Gold im Mund“ – Fraktion. Jedenfalls traf mich bei meinem letzten Vorsprechen wegen der nicht funktionstüchtigen Steckdosen, ein vernichtender Blick und die spitze Bemerkung, dass sie jetzt nicht mehr viel Zeit hätte, da sie gleich anfangen müsste zu kochen. Es war bereits Viertel vor Elf, als ich an ihrer Tür schellte)


Die Resolute machte der Zaghaften jedoch klar, dass ein so eklatanter Verstoß gegen die heilige Mittagsruhe die Höchststrafe nach sich ziehen musste und tippte ohne hin zu gucken demonstrativ die Nummer ein. Offensichtlich kannte sie diese im Schlaf. 

 
Zweiter Akt: Unter den giftigen Blicken der versammelten Damen auf ihren Balkonen (außer der geheimnisvollen von links oben) tuckerte der ahnungslose Hausmeister weiter auf und ab, die kleinen Obstbäume dabei elegant umfahrend.

Da, er hält an. Nachdem er umständlich seinen Sitz verlassen hat, kramt er bedächtig das Handy aus der Tasche. Sich ein Ohr zuhaltend, (der Rasenmäher ist so laut) entfernt sich der geplagte Hausmeister von seinem ratternden Gerät und versucht nach einer Weile des Zuhörens seinen Standpunkt nachdrücklich gestikulierend dem Teilnehmer am anderen Ende der Verbindung klar zu machen - die Menge blickt triumphierend bis schadenfroh. Er murrt und knurrt ins Telefon, aber ganz offensichtlich übermittelt Frau Schrap – Nehle dem uneinsichtigen Angestellten den gesamten Unmut der Mieterschar und er knickt ein!


Dritter Akt: Sichtlich verstimmt und ohne uns eines Blickes zu würdigen, schlurft er zu seinem Treckerchen, klettert hinauf und lenkt es bedächtig, aber geschickt an die Seite, dann stellt er endlich die kleine Höllenmaschine ab.


Zufriedenes Gemurmel und allgemeiner Rückzug. Düster vor sich hin starrend lehnt unser aller Hausmeister an seinem Arbeitsgerät und raucht mürrische eine Zigarette.


Ich bringe mein Magermilchjoghurtbecherchen in die Küche und erfreut über Vogelgezwitscher und dem leisen Klingen des Windspiels auf meinem Balkon, setze ich mich an den Schreibtisch. Ach, diese angenehme Mittagsruhe. Ich nehme den Stift in die Hand und …


Finale: ... ein durchdringendes Dröhnen verkündet: Es ist fünfzehn Uhr. Die Mittagszeit ist um!
 

Aber irgendwie geht es doch auch ums Prinzip, oder?


aus der Reihe: Meine kleine Wohnung
Stephanie Ursula Gogolin, Lüneburg, Oktober 2007
 
 

16. Juli 2010

Satire die Zweite

Putzig

… haben Sie schon mal in einem Mietshaus mit sieben anderen Frauen zusammen gewohnt?


Also nicht etwa als Familie oder WG. Nein, jede ordentlich in ihrer Wohnung, mehr oder weniger kontaktfreudig und wie es so schön heißt: Alleinstehend.


Wenn frau in ein Haus einzuziehen gedenkt und beim Betreten des Hauses links an der Wand von der umfangreichen Hausordnung begrüßt wird, sollte sie die Wohnungsbesichtigung besser sein lassen. Aber auch hier war meine Blauäugigkeit nicht zu überbieten.

Jedenfalls reichte selbst der pingeligste Zug meiner Jungfrauennatur nicht aus, um mich für die kahle Fleckenlosigkeit des Treppenaufgangs oder der Gemeinschaftsräume in unserem Mietshaus zu begeistern. (Diverse verstaubte Türkränze, welche die unterschiedlichsten Anlässe repräsentierten, mal ausgenommen)


Frauen sind, wie wir alle wissen, hierzulande selbstverständlich sehr reinlich. An einer pedantischen Sternzeichendisposition allein oder an diversen Schulungen durch Ikea– und ähnlichen Katalogen kann es auch nicht liegen. Da Frauen eine wesentlich höhere Sauberkeitsschwelle als Männer haben und oft so überhaupt keine Schmutztoleranz besitzen, müssen sie noch anderen tief greifenden Prägungen in frühster Kindheit ausgesetzt worden sein. Oder besitzen sie gar ein Reinlichkeitsgen?


Wenn in einem Haushalt, neben Mutter und Vater nicht gerade drei Kinder oder mehr leben, ist der durchschnittliche deutsche Haushalt sauber, aufgeräumt und atmet mitunter hygienische Keimfreiheit. Die Haushalte mit drei Kindern und mehr, sind inzwischen ja eher selten geworden. Ob es wohl zu dem Problem bereits Untersuchungen gibt, demzufolge ein kausaler Zusammenhang zwischen Reinlichkeit und Kinderlosigkeit…, aber dieses heikles Thema schiebe ich lieber auf.

 

Als ehemalige amtierende Mutter und jetzige Großmutter on tour, kenne ich mich zwar aus im Putzuniversum, aber ich dachte auch, allein wohnen hat so seine Vorteile. Ich mache kaum Dreck, also hält sich das Beseitigen desselben in Grenzen und ich habe daher Zeit. Viel Zeit, zum Schreiben, zum Lesen, zum Internetsurfen und anderen lautlosen Tätigkeiten.

Natürlich habe ich meine Rechnung ohne die vielen fleißigen Hausfrauen gemacht, die auch in einer vierzig Quadratmeter großen Wohnung eine erfüllende Lebensaufgabe sehen und nebenbei einen gewissen kollektiven Druck auf jede andere Hausmitbewohnerin ausüben. War früher die Farbe Rot in meinem Kalender den wichtigen Terminen, wie Zahnarzt oder Friseur vorbehalten, signalisiert sie mir jetzt ausschließlich den Zeitraum, in dem ich mich der Hausordnung zu widmen habe. 


Da sind zwei große Fenster zu putzen, Treppengeländer und Ränder zu entstauben und nachzuwischen, die Stufen und Treppenabsätze gründlich zu reinigen und zu polieren. Mit reichlich Gerätschaften und Putzmitteln ausgestattet, halte ich mich dann mehrere Stunden im Treppenhaus auf. Gelegentlich nehme ich dafür extra einen Tag frei, wenn ich am Samstag etwas vorhabe. Denn am Sonntag wird der Hausaufgang natürlich nicht geputzt, aber die Aktivitäten in den übrigen Miniwohnungen sind trotzdem gewaltig, irgendein Küchengerät läuft immer.

An einem ganz gewöhnlichen Wochentag fängt zum Beispiel die ohnehin Nachtaktive über mir, in der Regel morgens ab sechs Uhr, zu putzen an. Sie kennt keine Gnade und kein Ausschlafen. Selbst am Sonntag nicht, da kann es aber schon mal sieben werden. Etwa 6.30 Uhr beginnt meine Nachbarin zur Rechten mit ihren ausgiebigen Reinigungsritualen. Ich vermute mal, als Großabnehmerin hat sie bei den Wasserwerken einen separaten Vertrag mit Sonderkonditionen. Während über meinen Balkon, dessen Tür ich listig früh geöffnet habe um die frische Morgenluft hereinzulassen, gegen Acht die ersten Rauchschwaden von Räucherstäbchen (Patschuli) vermischt mit Zigarettenduft hereinziehen, fallen unten die ersten Türen lautstark ins Schloss.


Hatte ich schon erwähnt, dass wir zwar ein blitzblankes, aber dafür lautes Haus sind?


Die nicht berufstätigen Damen gehen einkaufen, die berufstätigen verlassen das Haus eine halbe Stunde später. Jetzt wird die Geheimnisvolle von oben links aktiv. Man bekommt sie zwar quasi nicht zu sehen, aber ab und zu etwas zu hören. So das Übliche, ein bisschen Staubsaugen, gelegentliches Möbelrücken, leises Plätschern vom Blumengießen auf dem Balkon, dann wird die Waschmaschine angestellt.


Und so schlurfe ich täglich vor Tag und Tau unausgeschlafen ins Bad zum Zähnegeputzten, um mir dann, mit halbgeöffneten Augen und zitternden Händen, die erste Tasse Kaffee zuzubereiten. Während ich noch dabei vom Fenster aus die Müllabfuhr beobachte, donnert bereits der erste Besen gegen die Küchenwand, die ans Treppenhaus grenzt. Die nette Grauhaarige von gegenüber habe ich ohnehin schwer in Verdacht, die Treppe in der Woche, in der sie dran ist, mehrmals zu putzen.


Mein Besenschrank jedenfalls ist inzwischen besser sortiert, als mein Kleiderschrank und für biologisch abbaubare Reinigungsmittel bin ich mittlerweile Expertin. Doch bevor ich hier weiter schreibe, werde ich erst mal das neue antistatische Putztuch an Tastatur und Monitor ausprobieren… 



 aus der Reihe: Meine kleine Wohnung
Stephanie Ursula Gogolin, Lüneburg, September 2007

8. Juli 2010

Vorsicht Satire


Frauenhaus

Wider besseres Wissen war ich doch in diese niedliche Wohnung eingezogen. Ach, dieses Fenster, dieser Ausblick in den Himmel, ich werde sitzen und schreiben. Mein Geist wird mit den Vögeln fliegen und Sonnenuntergänge werden mein Tribut an die Musen sein.


Und dann der kleine Balkon vor diesem Fenster. Ich fühlte mich wie an der Reling eines riesigen Schiffes, wenn ich am Geländer stand. Der Wind
spielt in meinem Haar und Möwen….äh Schwalben, durchpflügen das Blau. Was für nette Aussichten in dieser netten kleinen Wohnung.

Es gab allerdings auch ein paar Nachteile, die ich euphorisch, erst einmal verdrängte. Der Umzugstag war besser verlaufen, als ich befürchtet hatte. Beschwingt und froh kam ich nach mehrstündiger Fahrt an und in Hochstimmung übernahm ich mein neues Domizil. Natürlich hätte ich mich vor meiner Entscheidung zu dieser Streichholzschachtel mit Badewanne im Haus doch einmal genauer umsehen können, mal diese oder jene Nachbarin kennen lernen sollen. Oder darauf bestehen, dass die Vermieterin eine ordentliche Wohnungsübergabe macht. Vielleicht hätte ich eine Nacht in der Wohnung Probe schlafen sollen oder so. Aber so bin ich eben, vorher alles 200 % überlegen,
aber das Wesentliche übersehen.

Ein Haus voller Frauen, was sollte da schon schief gehen, dachte ich! 
Alle ordentlich, nett, rücksichtsvoll, vielleicht sogar zur gegenseitige Hilfe geneigt und, was wir Frauen besonders mögen, zur kommunikative Gemeinsamkeit bereit. Nach einem Tag wusste ich es besser! Ich hatte mich in grenzenlosem Enthusiasmus und Naivität anscheinend in einer Mischung aus einer Art Altenheim und Psychoklinik eingemietet. So nach und nach lernte ich die wahren Nachteile erst wirklich kennen.

Hellhörig ist für den Bau aus den Anfängen der Siebziger eine eher schmeichelhafte Bezeichnungen. Um die ausgesprochen gute Akustik könnte so manches Tonstudio oder gar ein Konzertsaal dieses Gemäuer beneiden. Der Architekt muss bei den alten Meistern gelernt haben, die noch wussten, wie man eine Kirche baut, in der das geflüsterte Wort von der Kanzel in allen Ecken des imposanten Gebäudes gut zu verstehen war. Unser Treppenhaus braucht jedenfalls diesbezüglich keinen Vergleich zu scheuen.


Die Wohnwaben in diesem Haus erfüllten wohl noch einen besonderen Zweck. Als sogenannte Altenwohnungen in den Jahren des Entstehens konzipiert, sind sie klein und abgeschlossen, jedoch offen für Austausch aller Art. Zumindest ist es kein Problem am Leben der Anderen intensiv teilzunehmen.


Sie haben keine Familie? Keine Lust mehr auf ein Singledasein oder Angst vor Einsamkeit?
Alles kein Problem! In unserem Haus sind alle ein große glückliche WG. Keine entgeht dem morgendlichen Aufstehen der von oben drüber oder unten drunter, dem Hausputz oder der großen Wäsche, dem Nachmittagskaffeebesuch oder der Zigarette auf dem Balkon.

Und so stand ich am Abend meines ersten Tages inmitten meiner Kartons und Möbelteile, als es an der Tür klingelte.
Ich kramte mich bis zur Wohnungstür durch und öffnete. Draußen stand eine nervöse Schlanke und stellte sich als meine Nachbarin vor. Unter dem Arm geklemmt hatte sie mehrere Bücher, in der Hand ein paar Zettel, die einen offiziellen Eindruck machten. Während ich noch versuchte meinen Kartonwolkenkratzer zu stabilisieren, den ich unvorsichtigerweise ins Wanken gebracht hatte, begann meine Besucherin mir ihre Krankengeschichte zu erzählen, während sie versuchte, sich in meine Wohnung zu drängen. Dabei untermauerte sie ihren Vortrag mit Hinweisen auf diverse Fachliteratur oder wies auf die Attesten ihrer Ärzte hin.

Während ich mit dem Po die Kartons festhielt und
den Staubsaugerschlauch von meinem Fuß zu schütteln versuchte, heuchelte ich abwechselnd Betroffenheit und Verständnis. Zumindest das letztere hätte ich lassen sollen. Drei Tage später hatten mich die anderen Mitbewohnerinnen, besonders die zwei älteren Damen von ganz unten über die Nachbarin aufgeklärt, welche seit Jahren alle im Haus mit ihren ganz persönlichen Ansichten über das Leben tyrannisierte und ständig mit ihren Forderungen nach Rücksicht und Schonung hausieren ging.

Doch trotz der unüberhörbaren Nähe, sind die Anderen alle ganz nett und ich gewöhnte mich langsam an sie. Es ist für wahr eine bunte Mischung.


Süß sind die beiden älteren Damen, die im Erdgeschoss wohnen. Die eine über Achtzig, die andere bereits Neunzig und noch gut beieinander, wie man so sagt. Sie sind immer für eine Auskunft gut oder für ein paar Tipps, wie frau hier in dieser Ansammlung von fleißigen Bienchen ihren Alltag übersteht. Wobei ich sie in Verdacht habe, dass sie beide etwas schwer hören, jedenfalls entnehme ich das den merkwürdigen Antworten, die ich mitunter auf meine Fragen bekomme.


Außerdem gibt es in diesem Haus ein grauer Schatten, der, in weibliche Konturen gehüllt ab und zu an mir vorbeihaucht, dafür aber sehr nachtaktiv ist. Leider wohnt sie über mir und renoviert einmal wöchentlich ihre Gemächer. Anders kann ich mir das nächtliche Rumoren, Schaben und Poltern nicht erklären.


Interessant ist ebenfalls die, die unter mir wohnt, mit Henna gefärbten Haar und reichlich Ketten um den Hals. Dann und wann treffe ich sie vormittags, wenn sie mit ihrer Basttasche vom Bioladen kommt. Außerdem ist sie Kettenraucherin mit intensiven Hustenanfällen. Sie hat oft und gern Besuch von gleichgesinnten Genießerinnen und so ist mir über Stunden der Aufenthalt auf meinem Balkon oder das Öffnen der dazu gehörigen Tür verwehrt.
Aber neuerdings wurde ja für die Gaststätten unseres Bundeslands das Rauchverbot ausgerufen. Also verbringe ich täglich drei bis vier Stunden in der kleinen Konditorei an der Ecke, dort bin auch so gut wie allein und es ist sehr ruhig. Zwar kann ich Sahnetorten jetzt nicht mehr sehen (hab ich mal geliebt) und vom Kaffeegenuss schlafe ich nachts nicht (aber was soll, die private Disco im Haus gegenüber verhindert das ohnehin dreimal in der Woche) und ich bin ständig pleite (dafür ist die Wohnung recht preiswert).

Eine der Mitbewohnerinnen habe ich allerdings noch nie zu Gesicht bekommen, scheinbar hat sie noch niemand gesehen, gelegentlich bewegt sich die Gardine hinter ihren Fenstern. Ach ja und dann gibt es noch jene, die streng über die Reinigung des Treppenhauses wacht.


Und so liegt auch heute wieder ein harter Tag liegt hinter mir. 

Nach dem zwanzigsten halbstündigen Wasserspiel meiner Nachbarin mit Waschzwang, habe ich dann doch einmal mit dem Kopf auf die Tischplatte geschlagen. Einmal wagte ich nach Mitternacht an die Wand zu klopfen, da ich hoffte, sie daran zu erinnern, dass jetzt wieder jemand in der Nachbarwohnung wohnt. Das traue ich mich nicht mehr. Meine Bilder habe ich noch nicht aufgehängt und am Abend verzichte ich auf das Jagen von Mücken, seit sie mir sofort in den Morgenstunden ein Briefchen an die Wohnungstür klebte, mit dem Hinweis, dass sie von meiner „ständigen“ Klopferei Migräne bekommt, aber sonst wirklich nichts gegen mich persönlich hat.

Ich sitze nun leicht benommen an meinem Schreibtisch und schließe mein Tagewerk ab. Eine halbe Seite Text, den man durchgehen lassen kann und ein große Papiertüte voll mit geschreddertem konfusen Geschreibsel, das eigentlich ein Buch werden sollten. Es ist zwanzig Uhr! Ich sehne den Moment herbei, in dem jede Bewohnerin dieses Irrenhauses ihre Küche auf Vordermann gebracht hat, alle die Balkontür, die zum abendlichen Lüften geöffnet wurden, mit Nachdruck geschlossen werden und das, für mich undefinierbare, Möbelrücken ein Ende nimmt.


Ich hüpfe stattdessen zum Ausgleich auf einem Bein bis ins Bad, wo ich dreimal hintereinander die Toilettenspülung betätige. Dann klappere ich in der Küche ein wenig in meinem Geschirrfach herum und lass den Mixer zehn Minuten laufen, um meine Quote des häuslichen Emsigseins für die anderen hörbar etwas anzuheben. Nach fünfundzwanzigminütigem Duschen, untere Hausnormgrenze, sitze ich auf meiner Bettkante und ziehe mir noch eine besonders harte Stelle eines Actionfilm rein. Dessen Action
jedoch lächerlich ist, gegen die Betriebsamkeit in unserem Haus. Die Explosionen stelle ich jetzt immer noch ein wenig lauter, seit der Raucherhusten der esoterischen Rothaarigen unter mir schlimmer geworden ist. 

Wirklich einschlafen kann ich natürlich auch erst, wenn alle Damen im Haus des Nachts einmal pullern waren, gezogen und sich die Hände gewaschen haben. 


aus der Reihe: Meine kleine Wohnung 

Stephanie Ursula Gogolin, Lüneburg, August 2007