31. Oktober 2010

10. Oktober 2010

Geschichten aus dem Treppenhaus I


Schäfchen ist verschwunden

In der Erkerecke hinter den großen Zimmerpflanzen, raschelt und knistert es. Hanna kriecht auf allen Vieren um die Blumentöpfe herum. Sie spielt Schäfchen hat Geburtstag. Sie möchte ihrem Lieblingskuscheltier ein selbst verpacktes Päckchen und einen Knetekuchen mit Bauklötzchenkerze schenken. Sie schickt ihre Schwester Paula aus um Schäfchen zu holen. 

Aber Schäfchen ist nicht da. Sie sucht im Kinderzimmer, im Bad, im Treppenhaus. Beim Mittagessen hatte Schäfchen noch mit am Tisch gesessen! Und beim Vorlesen in der Mittagspause hielt es Hanna noch im Arm? Doch danach?

Paula sagt: „Schäfchen ist weg!“

Hanna jammert, ihr Schäfchen ist nicht mehr da. Alle müssen suchen. Die ganze Familie, Oma, Mama, Paula, Hanna - alle laufen treppauf und treppab - Schäfchen bleibt verschwunden - jeder guckt in jedes Zimmer und in jede Ecke - kein Schäfchen. 

Hanna fängt an zu weinen, na genau genommen brüllt sie, was das Zeug hält. Untröstlich weint sie dicke Tränen in den Teppich. Sie lässt sich nicht beruhigen.

Während Johanna unter dem Tisch schluchzt, beraten erschöpft bei Kaffee und Apfelsaft, Oma, Mama und Paula, wo sie noch suchen könnten. Alle haben alles abgesucht! - Den Einkaufskorb umgestülpt, unter jedes Kissen gesehen, in den Spielzeugkisten, auch auf dem Sesseln auf dem Balkon. Kein Schäfchen!

Das Telefon klingelt! Mama geht telefonieren. Hanna heult noch immer. Paula streichelt ihre Schwester.

Oma geht in den Keller an die Waschmaschine. Die Bezüge der Kinderbetten sind fertig gewaschen. Oma nimmt die Wäsche aus der Maschine und Schäfchen sagt: “Ich war noch gar nicht so schmutzig” und dabei guckt das nasse Schäfchen ganz vorwurfsvoll.
 












Kindergeschichte aus der Reihe: Geschichten aus dem Treppenhaus

© Stephanie Ursula Gogolin, Bonn 2003

6. Oktober 2010

ausprobiert


...natürlich musste ich da mit machen und was kam nach der blitzartigen Analyse heraus:


Ingeborg Bachmann
 


...das hätte ich nicht gedacht! Als Analysetext stellt ich mein untenstehendes KurzUndProsa zur Begutachtung:




Projekt Abschied


Den Tod sollte man nicht erklären, sondern akzeptieren. Und es gilt sich vorzubereiten. An einem milden Herbsttag, mit Rasenmähergeräuschen und ersten Gänseformationen, die keilförmig fern das trübe Grau über mir belebten, wurde mir meine Endlichkeit bewusst
und ich beschloss meine beginnende Karriere als Schriftsteller zu unterbrechen, um erste Vorbereitungen zu treffen. 


Als erstes suchte ich im Anzeigenteil nach einem Job. Ich musste Geld verdienen, um die immensen Kosten einer Beerdigung bereitzustellen. Um dem Tod ins Auge sehen zu können, musste ich mich erst einmal dem Leben zuwenden. Ich trug Papiere zusammen, überlegte, wer wohl bei meinem letzten Gang anwesend sein würde und was ich aufwenden müsste, um selbige zu beeindrucken. Ich studierte die Angebote der Bestatter und Steinmetze und verfasste eine Liste.

Es war schwierig eine opulente, aber kostengünstige Abschiedsfeier zusammenzustellen, da es nicht üblich ist, die Dienstleistungen von verschiedenen Instituten zu kombinieren. Keiner hatte ein, mir attraktiv scheinendes aber preiswertes Paket in seiner Auswahl. Ich stand kurz davor, das anstrengende Vorbereiten meines würdigen Ende auszusetzen. Vielleicht würde ich mich eines Tages in Luft auflösen. Oder die Traditionen und gesetzlichen Vorschriften in puncto Bestattung würden sich ändern und außer einem dezenten Kranz Gänseblümchen und einem lieblichen Lied aus Kinderkehlen am Wiesengrab, wäre jeder Pomp und eitle Aufwand verboten.


Vielleicht sollte ich es auch darauf ankommen lassen und mein, eines Tages unausweichliches, eigenes Ende einfach ignorieren. Denn wenn ein Mensch aus dem Leben scheidet, hat er den Vorteil sich keine Gedanken mehr machen zu müssen, wie es weitergeht. Für ihn beginnt endlich der natürliche Kreislauf, den es in unserem durchzivilisierten Leben schon lange nicht mehr gibt. Ich brauchte ein paar Tage, um auch dieses Tief zu überwinden und die Trauer um meinen eigenen Verlust abzuschließen.


Das Bewerbungsgespräch die Woche drauf verlief besser als ich dachte und auf die Frage: „...warum möchten Sie in unserem Unternehmen tätig sein?“, antwortete ich wahrheitsgemäß: „Ich muss für meine Beerdigung Geld verdienen!“. Der Abteilungsleiter fasste das als Scherz auf und stellte mich trotzdem ein. Ich hatte eine leichte Arbeit. Es galt die Särge, die vom Fließband liefen, auf Vollständigkeit zu überprüfen und Sägespäne einzufüllen. Eine Kollegin, die nebenan arbeitete, schlug anschließend den Innenraum des Schreins mit weißer Kunstseide aus und tackerte sie unauffällig fest.


Manchmal frühstückten wir zusammen. Da sie sehr zurückhaltend war, lag die Last der Unterhaltung bei mir. „Hast du schon für deine Beerdigung vorgesorgt?“ - „Ich bin fünfundzwanzig!“ - „Naja, ich meine ja nur, wo wir doch hier arbeiten!“ 

Plötzlich war es mir peinlich über meine eigenen Beweggründe zu sprechen.

Sie war eine stille, aber nette Person und nach und nach kamen wir uns näher. Es gehörte auch zu meinen Aufgaben kurz vor Feierabend alles aufräumen und die Halle zu fegen. Immer wieder ertappte ich mich, dass ich sehnsuchtsvoll in den leeren Nebenraum starrte und wünschte sie wäre noch nicht nach Haus gegangen. Aber Komplikationen dieser Art konnte ich eigentlich nicht gebrauchen, schließlich hatte ich errechnet, dass ich etwa fünf Jahre ein sparsames Leben führen müsste, um dann beruhigt meinem Ende entgegen zu sehen. So verging die Zeit und das Projekt: Abschied gestaltete sich immer besser, ebenso das Verhältnis zu meiner Kollegin, die übrigens Anika hieß.


Seit jenem milden Herbsttag sind fast sechs Jahre vergangen. Inzwischen habe ich den Bereich Fertigung übernommen, meine stille, aber zauberhafte Kollegin geheiratet und im Mai erwarten wir unser erstes Kind. Und was das Beste ist, als Mitarbeiter der Firma bekomme ich später einmal einen kostenlosen Sarg und somit konnte ich diesen Punkt schon mal von meiner Liste streichen.