Yin und Yang
„Komm zum Frühstück, Yang! Hörst
du, ... Frühstück ist fertig.“
Mutter Yin gähnte, sie war etwas müde
heute Morgen... es war eine lange, wilde Nacht gewesen.
Bis zum Sonnenaufgang hatten sie mit
den Frauen auf der Waldlichtung hinter dem Dorf getanzt, den
berauschende Trank aus dem blanken Kessel getrunken, die alten Lieder
für die Dunkle Göttin der Frauen gesungen.
Die jungen und alten Mütter des Dorfes
feierten einmal im Jahr das große Mondfest. In jenen Nächten wurden
die uralten Geheimnisse des Glücks an die jungen Frauen
weitergereicht. Träume offenbart, Schmerzen gewandelt, Leiden dem
Feuer übergeben. Kein Mann war zu diesen Festen zugelassen, selbst
nicht so ein kleiner wie Yang.
„Wo warst du in der Nacht, Mutter
Yin?“
„Mit den Müttern in der Anderen, der
Dunklen Welt - der Welt der Mondfrau, wie immer um diese Zeit des
Jahres.“, sagte sie leise und geheimnisvoll.
„Des Nacht ist es finster und
gruselig. Hast du keine Angst?“
„Was wäre ich für eine Mutter, wenn
ich des Nachts Angst hätte?“, lachte Yin. Sie strich ihrem Kind
über Kopf: „...und mit all den anderen Müttern bin ich nie
allein!“
„Ich finde die Sonne schöner, als
die bleiche Mondmutter. Manchmal sieht man nur in kleines Stück von
ihr, als hätte die Sonne ein Stück abgebissen.“ Yang hielt seiner
Mutter sein Schälchen hin und Yin füllte es wieder auf.
„Ob wir sie sehen oder nicht, die
Mondfrau ist immer da. Ohne den Mond gäbe es kein Leben auf der
Erde! Doch nun geh hinaus, die anderen warten schon! Spiel mit ihnen
in der Sonne. Das Licht ist gut für deine Kraft und deine Knochen.“
Der kleine Yang stopfte sich den
letzten Bissen morgendlichen Breis in seinen immer hungrigen Mund, während er seiner Mutter zusah und ihrem leisen Singen lauschte. Er
dachte über Yins Worte nach.
„Ich glaube, ich bin nur ein Kind der
Sonne - aber du kennst sie alle, die Sonne, die Sterne, den Mond. Auch
die finstere Nacht, meine liebe Mondmutter!“, lachte der kleine
Yang. Sein Breischälchen zur Seite schiebend, stürmte er zur Tür
hinaus.
Yin sah ihrem Sohn nachsichtig
hinterher: „...das hast du richtig erkannt, mein Kind!“
... eine Medivision von Stephanie
Ursula Gogolin, Lüneburg Januar 2012