Die Uralte, die Weise saß am steinernen Becken. Sie zog ihre Hand durch das klare Wasser und all die Bilder, die sie in die Zeiten sehen ließen, verschwanden, nichts blieb zurück als drückende Schwermut und nie gekannte Trauer und der strahlende Sommertag versank in Düsternis...
Die dreizehnte Fee, die Alte, schritt durch die Räume ihres Palastes. Von außen ward dieser eine unscheinbare Hütte, doch trat man durch die Türe, taten sich im Inneren weite Säle auf, geheimnisvolle Gemächer und Türme, von deren Warte sie Zukünftiges und Vergangenes sah. Hier störte nichts das immer währenden Sein.
Nach vielen Stunden saß sie immer noch auf der Bank des Altans. Zum ersten Mal in ihrem langen Leben war der Tag gekommen, an dem sie ihren sonst so segensreichen Ahnungen fluchen wollte. Ihr Vermögen, das sie unerbittlich sehen ließ, was anderen verborgen blieb, lag heute als schwere Last auf ihren Schultern. Sie sah und erkannte, wohin der Menschen Entscheidungen führten. Es waren leichtfertige und grauame Entscheidungen, die nicht mehr von ewigen Prinzip getragen wurden. Keiner suchte mehr ihren Rat.
Sie schloss ihre Augen, leerte ihren Geist, versank in den Weiten der ewigen Welten. Doch ein bisher nicht bekannter Schmerz zog sie immer wieder zurück, missgönnte ihr heute die Ruhe, welche sonst ihre Kräfte wachsen ließ. Und so beschloss sie, sich auf den Weg zu machen. Mit ihrer Anwesenheit wollte sie dem König zeigen, was er bereit war aufs Spiel zu setzen. Und mit eigenen Augen würde sie sich überzeugen, dass die Königin nicht mehr die Geschicke des Landes lenkte. Nein, sie durfte sich nicht ausschließen lassen, zu wichtig war ihre Vision für die Menschen. Die dreizehnte der Feen begab sich auf den Weg zum königlichen Schloss.
Es war ein leichtes für eine unscheinbare alte Frau die Königspfalz zu betreten. Niemand kümmerte sich um sie, keiner nahm sie gewahr. Das wunderbare Gewand der Feen hielt sie vor den Augen der geschäftigen und froh gestimmten Menschen verborgen. Sie durchschritt die festlich geschmückten Räume der Burg. Unbeachtete schritt sie inmitten all der Rührigkeit. Sie schlängelte sich an Mägden vorbei, die Platten und Schüsseln mit üppigen Speisen aus der Küche brachten und den fein gewandeten Diener zum Servieren übergaben. In den Gängen standen bewaffnete Wachen aufgereiht und an jeder Tür fragte ein Lakai nach dem Begehr, nur die alte Frau nahm er nicht wahr. Das leichte Leben in Vertrauen und Ungebundenheit, die Zeit der kundigen und klugen Frauen ging zu Ende, nie hatte die dreizehnte Fee es deutlicher gesehen, als in diesem Augenblick, da sie den Festsaal des Palas betrat.
Der Zorn über die Ungehörigkeit und die Unvernunft der erlauchten Gesellschaft stieg erneut in der Alten auf. Und deutlich spürte sie, auch ihre Schwestern fühlten nur zu gut den neuen, den unheilvollen Geist. Die meisten von ihnen trugen einen dünnen Schleier vor ihrem Gesicht, so dass die Anwesenden ihre Besorgnis nicht aus ihren Mienen lesen konnten.
Die Königin, noch erschöpft von den Anstrengungen der letzten Tage, hatte nur Augen für ihre langersehnte kleine Tochter. Selbst die Weisen Frauen, die Feen des Landes, nahm sie kaum wahr. Doch nun erschrak sie, als sie der Dreizehnten angesichtig wurde. Ängstlich blickte sie hin, zu ihrem Gemahl, der zwischen Grafen und Herzögen und deren Gattinnen an der Tafel saß.
Die Alte, die Feenmutter, ließ den Mantel von den Schultern gleiten und stand in ihrer Gewaltigkeit mitten im Saal. Erschrocken verstummten bei ihrem Erscheinen die Gespräche und all das Zuprosten. Sie sah sich lange und bedachtsam um. Dann trat sie an die Wiege der kleinen Prinzessin. Mit großen Augen lachte das Kind sie an und die Fee wurde schier überwältigt von den Offenbarungen, welche vor ihr auftauchten.
Die weise Alte richtete sich hoch auf und ihr Spruch ließ die Anwesenden vor Grauen erstarren. Ihren unnachgiebigen Blick auf den König gerichtet, verkündete sie, was sie sah und mahnte zur Einsicht. Dann verließ sie den Saal.
Auch der Spruch der Zwölften, die nach ihr an die Wiege trat, wird die künftigen Geschehnisse nicht aufhalten oder die Morgen abändern, nur hinauszögern. Das war eine bittere Gewissheit. Mag es diese Königstochter noch nicht treffen, so wird sich der Spruch vielleicht an ihrem Kindeskind erfüllen. Einhundert Jahre Schlaf sei ihnen vergönnt! Eine kleine Spanne Zeit. Nur der sich wiederholende Zyklus. Die bekannte Dauer in der sich Erinnerungen allmählich zu Mären und Sagen wandeln - geläuterte Weisheiten, welche die Großmütter den kleinen Töchtern erzählten, damit diese daraus lernen.
Die dreizehnte Fee, die Uralte, wanderte zwischen reifen Feldern und grünen Wiesen heimwärts in die Einsamkeit des Waldes. Sie dachte an ihre Schwestern. Sollen sie dieses Mal noch, wie zu allen Zeiten, die kleine Prinzessin mit ihren Gaben segnen. Eines Tages wachsen Töchter heran, die von all dem nichts mehr erfahren und viele hundert Jahre werden noch ins Land gehen, bis die Märchen dereinst der Schlüssel zu einer neuen Zeit der Frauen werden.
Ab und zu hielt sie inne auf ihrem Weg und wenn sie die Augen schloss, sah sie dunkle Kerker und Ketten. Sie sah riesige Scheiterhaufen lodern und hörte die Schreie der verfolgten und gemarterten Frauen.
Und die dreizehnte der Feen wusste nicht, wie sie all das allein aufhalten könnte.
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