26. Juni 2010

… mehr als nur ein Märchen

Die dreizehnte Fee

… Trauer erfüllte heute an diesem wunderbaren Sommertag die Uralte, die Weise. Sie zog ihre Hand durch das klare Wasser des steinernen Beckens und die mystischen Bilder, die sie in die Zeiten sehen ließen, verschwanden.

Der König des Landes missachtete die uralte Ordnung - wieder und wieder. Zwölf der Schwestern gebot er zu sich, aus Anlass des Tauffestes seiner neugeborenen Tochter. Prächtig gekleidete Diener schickte er aus, junge Burschen, die sich ihrer Stellung am Hofe sicher, die Einladungen an die Feen hochmütig überreichten. Die jungen Pagen kannten keine Ehrfurcht mehr vor den Weisen Weiber, die überall im Lande lebten und wirkten. Der König lud nur ihrer Zwölf in seine Burg. An ihrem Haus, dem der Dreizehnten, ritten die Boten vorbei.

Einst kam die Mutter der Königin selbst zu ihr und ihren Schwestern, um sie zum Fest zu bitten. In der Nacht der Frauen versammelten sich alle. Und im Schein des vollen Mondes empfahl die junge Mutter ihre neugeborene Tochter dem Kreis der Dreizehn und den Ahninnen, bat um Schutz und Beistand für die künftige Königin. Viel zu früh starb sie dann, die alte Königin. Und viel zu früh vermählte sich deren Tochter. Jetzt ward diese nach einer langen Wartezeit selbst Mutter und das Königspaar wusste sich vor Glück nicht zu lassen, hieß es im ganzen Land.

Die dreizehnte Fee, die Alte, schritt wehmütig durch die Räume ihres Palastes. Von außen ward dieser eine unscheinbare Hütte, doch trat man durch die Türe, taten sich im Inneren weite Säle auf, geheimnisvolle Gemächer und Türme, von deren Warte sie Zukünftiges und Vergangenes sah. Hier störte nichts die Ordnung des immer währenden Seins.

Nach endlosen Stunden saß sie immer noch auf der Bank des Altans. Zum ersten Mal in ihrem langen Leben war der Tag gekommen, an dem sie ihren sonst so segensreichen Ahnungen fluchen wollte. Ihr Vermögen, das sie unerbittlich sehen ließ, was anderen verborgen blieb, schien ihr heute eine grausame Last. Sie sah und erkannte, wohin der Menschen Entscheidungen führten. Es waren Entscheidungen, die nicht mehr vom alten Prinzip getragen wurden. Keiner suchte mehr ihren Rat.

Sie schloss ihre Augen, leerte ihren Geist, versank in den Weiten der ewigen Welten. Doch ein bisher nicht bekannter Schmerz zog sie immer wieder zurück, missgönnte ihr heute die Ruhe, welche sonst ihre Kräfte wachsen ließ. Und so beschloss sie, sich auf den Weg zu machen. Mit ihrer Anwesenheit wollte sie dem König zeigen, was er bereit war aufs Spiel zu setzen. Und mit eigenen Augen würde sie sich überzeugen, dass die Königin nicht mehr die Geschicke des Landes lenkte. Nein, sie durfte sich nicht ausschließen lassen, zu wichtig waren ihre Visionen für die Menschen. Die dreizehnte der Feen begab sich auf den Weg zum königlichen Schloss.

Es war ein leichtes für eine unscheinbare alte Frau die Königspfalz zu betreten. Niemand nahm sie gewahr. Das wunderbare Gewand der Feen hielt sie vor den Augen der geschäftigen und froh gestimmten Menschen verborgen. Sie durchschritt die festlich geschmückten Räume der Burg. Niemand beachtete sie in all der Rührigkeit. Sie schlängelte sich an Mägden vorbei, die Platten und Schüsseln mit üppigen Speisen aus der Küche trugen und diese den fein gewandeten Diener zum Servieren übergaben. In den Gängen standen bewaffnete Wachen aufgereiht und an jeder Tür fragte ein Lakai nach dem Begehr. Das Leben in Vertrauen und Ungebundenheit, die Zeit der kundigen und klugen Frauen ging zu Ende, nie hatte die dreizehnte Fee es deutlicher gesehen, als in diesem Augenblick, da sie den Festsaal des Palas betrat.

Zwölf Schwestern umstanden die Wiege des Kindes, während die geladenen Gäste schwatzten und tafelten. Und trotz der zur Schau getragenen, überschäumenden Ausgelassenheit, lag auch ein dunkler Schatten auf der anwesenden Festgesellschaft. All die feiernden Herrschaften jubelten dem Königspaar zu und suchten doch zu verbergen, dass in der Freude über das Kind, auch die Enttäuschung mitschwang, dass kein Sohn das Licht der Welt erblickt hatte. Wohlgesetzte Reden schmeichelten dem Herrscher und enthielten manch versteckten Tadel für die Königin, welche dem Gatten nicht den erwarteten Erbprinzen geschenkt hatte.

Der Zorn über die Ungehörigkeit und die Unvernunft der erlauchten Gesellschaft stieg erneut in der Alten auf. Und deutlich spürte sie, auch ihre Schwestern fühlten nur zu gut den neuen, den unheilvollen Geist. Die meisten von ihnen trugen einen dünnen Schleier vor ihrem Gesicht, so dass die Anwesenden ihre Besorgnis nicht aus ihren Mienen lesen konnten.

Die Königin, noch erschöpft von den Anstrengungen der letzten Tage, hatte nur Augen für ihre langersehnte kleine Tochter. Selbst die Weisen Frauen, die Feen des Landes, nahm sie kaum wahr. Doch nun erschrak sie, als sie der Dreizehnten angesichtig wurde. Ängstlich blickte sie hin, zu ihrem Gemahl, der zwischen Grafen und Herzögen und deren Gattinnen an der Tafel saß.

Die Alte, die Feenmutter, ließ den Mantel von den Schultern gleiten und stand in ihrer Gewaltigkeit mitten im Saal. Erschrocken verstummten bei ihrem Erscheinen die Gespräche und das Zuprosten. Sie sah sich lange und bedachtsam um. Dann trat sie an die Wiege der kleinen Prinzessin. Mit großen Augen lachte das Kind sie an und die Fee wurde schier überwältigt von den Offenbarungen, welche vor ihr auftauchten.

Soll die kleine Königstochter in all den Schrecken, den sie so überdeutlich vor sich sah, hineinwachsen? Das Grauen der gewissen Zukunft erleben. Wäre es nicht besser, sie wäre tot? Ihr Geburtsrecht würde sie verlieren, sobald der Bruder geboren würde. Der Vater wird verbieten, sie zu den Weisen Frauen zu schicken, statt dessen wird er sie mit dem Fürsten des Nachbarreichs verheiraten, um den Frieden zu sichern. Fern vom Haus ihrer Ahnin würde sie dort unglücklich eines frühen Todes sterben. Der König wird den Priestern der neuen Religion in allem freie Hand lassen. Sie werden die Zusammenkünfte der Frauen in den Spinnstuben verbieten und das Tun der Hebammen beargwöhnen.

Sie sah eine Zeit des Todes und der Vernichtung.

Die weise Alte richtete sich hoch auf und ihr Spruch ließ die Anwesenden vor Grauen erstarren. Ihren unnachgiebigen Blick auf den König gerichtet, verkündete sie, was sie sah und mahnte zur Einsicht. Dann verließ sie den Saal.

Auch der Spruch der Zwölften, die nach ihr an die Wiege trat, wird die künftigen Geschehnisse nicht aufhalten oder die Morgen abändern, nur hinauszögern. Das war eine bittere Gewissheit. Mag es diese Königstochter noch nicht treffen, so wird sich der Spruch vielleicht an ihrem Kindeskind erfüllen. Einhundert Jahre Schlaf sei ihnen vergönnt! Eine kleine Spanne Zeit. Nur ein Zyklus, der sich wiederholt. Die Dauer in der sich Erinnerungen allmählich zu Mären und Sagen wandeln - geläuterte Weisheiten, welche die Großmütter den kleinen Töchtern erzählten, damit diese daraus lernen.

Die dreizehnte Fee, die Uralte, wanderte zwischen reifen Feldern und grünen Wiesen heimwärts in die Einsamkeit des Waldes. Sie dachte an ihre Schwestern. Sollen sie dieses Mal noch, wie zu allen Zeiten, die kleine Prinzessin mit ihren Gaben segnen. Eines Tages wachsen Töchter heran , die von all dem nichts mehr erfahren und hunderte Jahre werden noch ins Land gehen, bis die Märchen dereinst der Schlüssel zu einer neuen Zeit der Frauen werden.

Ab und zu hielt sie inne auf ihrem Weg und wenn sie die Augen schloss, sah sie dunkle Kerker und Ketten. Sie sah riesige Scheiterhaufen lodern und hörte die Schreie der verfolgten und gemarterten Frauen.

Und die dreizehnte der Feen wusste nicht, wie sie all das allein aufhalten könnte.


"Die dreizehnte Fee" © Märchenerzählung von Stephanie Ursula Gogolin, Juni 2010


4 Kommentare:

Grey Owl Calluna hat gesagt…

Liebe Stephanie!
Nur zu wahr ist es geworden, und man könnte schreien.....weil es immer noch nicht aufhört......

Eine wunderbar geschriebene Geschichte.

Früher, als wir diese Märchen hörten, wußten wir natürlich überhaupt nicht was dies eigentlich bedeutet.....und es erklärte uns auch niemand. Eerst heute verstehe ich diese Märchen.

Der Herr Storl macht das ja auch ganz gekonnt. Das höre ich mir auch gerne an. Er beleuchtet auch dei Hintergründe.
Sei ganz lieb gegrüßt
Rosi

birgit hat gesagt…

yeah herzzerbrechend
und nein
aufzuhalten ist das nicht
möglicherweise muss es sein
damit ein bewusstsein dessen enstehen kann was da zerstört wird

immerhin gibt es nach all den jahrhunderten -tausenden wieder neue versionen die die alten weisheiten vom kopf auf die füße stellen

PepeB hat gesagt…

Dein Märchen rührt mich tief an, ich hoffe, das Leiblich-Weibliche kann sich wieder durchsetzen, das Wissen jenseits des Denkens, wenn wir Frauen uns nur selbst (wieder?) in diese Gefilde trauen.

birgit hat gesagt…

ich muss immer wieder an sie denken
mitfühlen
reinfühlen
hat mich auch sehr berührt...