8. Juli 2010

Vorsicht Satire


Frauenhaus

Wider besseres Wissen war ich doch in diese niedliche Wohnung eingezogen. Ach, dieses Fenster, dieser Ausblick in den Himmel, ich werde sitzen und schreiben. Mein Geist wird mit den Vögeln fliegen und Sonnenuntergänge werden mein Tribut an die Musen sein.


Und dann der kleine Balkon vor diesem Fenster. Ich fühlte mich wie an der Reling eines riesigen Schiffes, wenn ich am Geländer stand. Der Wind
spielt in meinem Haar und Möwen….äh Schwalben, durchpflügen das Blau. Was für nette Aussichten in dieser netten kleinen Wohnung.

Es gab allerdings auch ein paar Nachteile, die ich euphorisch, erst einmal verdrängte. Der Umzugstag war besser verlaufen, als ich befürchtet hatte. Beschwingt und froh kam ich nach mehrstündiger Fahrt an und in Hochstimmung übernahm ich mein neues Domizil. Natürlich hätte ich mich vor meiner Entscheidung zu dieser Streichholzschachtel mit Badewanne im Haus doch einmal genauer umsehen können, mal diese oder jene Nachbarin kennen lernen sollen. Oder darauf bestehen, dass die Vermieterin eine ordentliche Wohnungsübergabe macht. Vielleicht hätte ich eine Nacht in der Wohnung Probe schlafen sollen oder so. Aber so bin ich eben, vorher alles 200 % überlegen,
aber das Wesentliche übersehen.

Ein Haus voller Frauen, was sollte da schon schief gehen, dachte ich! 
Alle ordentlich, nett, rücksichtsvoll, vielleicht sogar zur gegenseitige Hilfe geneigt und, was wir Frauen besonders mögen, zur kommunikative Gemeinsamkeit bereit. Nach einem Tag wusste ich es besser! Ich hatte mich in grenzenlosem Enthusiasmus und Naivität anscheinend in einer Mischung aus einer Art Altenheim und Psychoklinik eingemietet. So nach und nach lernte ich die wahren Nachteile erst wirklich kennen.

Hellhörig ist für den Bau aus den Anfängen der Siebziger eine eher schmeichelhafte Bezeichnungen. Um die ausgesprochen gute Akustik könnte so manches Tonstudio oder gar ein Konzertsaal dieses Gemäuer beneiden. Der Architekt muss bei den alten Meistern gelernt haben, die noch wussten, wie man eine Kirche baut, in der das geflüsterte Wort von der Kanzel in allen Ecken des imposanten Gebäudes gut zu verstehen war. Unser Treppenhaus braucht jedenfalls diesbezüglich keinen Vergleich zu scheuen.


Die Wohnwaben in diesem Haus erfüllten wohl noch einen besonderen Zweck. Als sogenannte Altenwohnungen in den Jahren des Entstehens konzipiert, sind sie klein und abgeschlossen, jedoch offen für Austausch aller Art. Zumindest ist es kein Problem am Leben der Anderen intensiv teilzunehmen.


Sie haben keine Familie? Keine Lust mehr auf ein Singledasein oder Angst vor Einsamkeit?
Alles kein Problem! In unserem Haus sind alle ein große glückliche WG. Keine entgeht dem morgendlichen Aufstehen der von oben drüber oder unten drunter, dem Hausputz oder der großen Wäsche, dem Nachmittagskaffeebesuch oder der Zigarette auf dem Balkon.

Und so stand ich am Abend meines ersten Tages inmitten meiner Kartons und Möbelteile, als es an der Tür klingelte.
Ich kramte mich bis zur Wohnungstür durch und öffnete. Draußen stand eine nervöse Schlanke und stellte sich als meine Nachbarin vor. Unter dem Arm geklemmt hatte sie mehrere Bücher, in der Hand ein paar Zettel, die einen offiziellen Eindruck machten. Während ich noch versuchte meinen Kartonwolkenkratzer zu stabilisieren, den ich unvorsichtigerweise ins Wanken gebracht hatte, begann meine Besucherin mir ihre Krankengeschichte zu erzählen, während sie versuchte, sich in meine Wohnung zu drängen. Dabei untermauerte sie ihren Vortrag mit Hinweisen auf diverse Fachliteratur oder wies auf die Attesten ihrer Ärzte hin.

Während ich mit dem Po die Kartons festhielt und
den Staubsaugerschlauch von meinem Fuß zu schütteln versuchte, heuchelte ich abwechselnd Betroffenheit und Verständnis. Zumindest das letztere hätte ich lassen sollen. Drei Tage später hatten mich die anderen Mitbewohnerinnen, besonders die zwei älteren Damen von ganz unten über die Nachbarin aufgeklärt, welche seit Jahren alle im Haus mit ihren ganz persönlichen Ansichten über das Leben tyrannisierte und ständig mit ihren Forderungen nach Rücksicht und Schonung hausieren ging.

Doch trotz der unüberhörbaren Nähe, sind die Anderen alle ganz nett und ich gewöhnte mich langsam an sie. Es ist für wahr eine bunte Mischung.


Süß sind die beiden älteren Damen, die im Erdgeschoss wohnen. Die eine über Achtzig, die andere bereits Neunzig und noch gut beieinander, wie man so sagt. Sie sind immer für eine Auskunft gut oder für ein paar Tipps, wie frau hier in dieser Ansammlung von fleißigen Bienchen ihren Alltag übersteht. Wobei ich sie in Verdacht habe, dass sie beide etwas schwer hören, jedenfalls entnehme ich das den merkwürdigen Antworten, die ich mitunter auf meine Fragen bekomme.


Außerdem gibt es in diesem Haus ein grauer Schatten, der, in weibliche Konturen gehüllt ab und zu an mir vorbeihaucht, dafür aber sehr nachtaktiv ist. Leider wohnt sie über mir und renoviert einmal wöchentlich ihre Gemächer. Anders kann ich mir das nächtliche Rumoren, Schaben und Poltern nicht erklären.


Interessant ist ebenfalls die, die unter mir wohnt, mit Henna gefärbten Haar und reichlich Ketten um den Hals. Dann und wann treffe ich sie vormittags, wenn sie mit ihrer Basttasche vom Bioladen kommt. Außerdem ist sie Kettenraucherin mit intensiven Hustenanfällen. Sie hat oft und gern Besuch von gleichgesinnten Genießerinnen und so ist mir über Stunden der Aufenthalt auf meinem Balkon oder das Öffnen der dazu gehörigen Tür verwehrt.
Aber neuerdings wurde ja für die Gaststätten unseres Bundeslands das Rauchverbot ausgerufen. Also verbringe ich täglich drei bis vier Stunden in der kleinen Konditorei an der Ecke, dort bin auch so gut wie allein und es ist sehr ruhig. Zwar kann ich Sahnetorten jetzt nicht mehr sehen (hab ich mal geliebt) und vom Kaffeegenuss schlafe ich nachts nicht (aber was soll, die private Disco im Haus gegenüber verhindert das ohnehin dreimal in der Woche) und ich bin ständig pleite (dafür ist die Wohnung recht preiswert).

Eine der Mitbewohnerinnen habe ich allerdings noch nie zu Gesicht bekommen, scheinbar hat sie noch niemand gesehen, gelegentlich bewegt sich die Gardine hinter ihren Fenstern. Ach ja und dann gibt es noch jene, die streng über die Reinigung des Treppenhauses wacht.


Und so liegt auch heute wieder ein harter Tag liegt hinter mir. 

Nach dem zwanzigsten halbstündigen Wasserspiel meiner Nachbarin mit Waschzwang, habe ich dann doch einmal mit dem Kopf auf die Tischplatte geschlagen. Einmal wagte ich nach Mitternacht an die Wand zu klopfen, da ich hoffte, sie daran zu erinnern, dass jetzt wieder jemand in der Nachbarwohnung wohnt. Das traue ich mich nicht mehr. Meine Bilder habe ich noch nicht aufgehängt und am Abend verzichte ich auf das Jagen von Mücken, seit sie mir sofort in den Morgenstunden ein Briefchen an die Wohnungstür klebte, mit dem Hinweis, dass sie von meiner „ständigen“ Klopferei Migräne bekommt, aber sonst wirklich nichts gegen mich persönlich hat.

Ich sitze nun leicht benommen an meinem Schreibtisch und schließe mein Tagewerk ab. Eine halbe Seite Text, den man durchgehen lassen kann und ein große Papiertüte voll mit geschreddertem konfusen Geschreibsel, das eigentlich ein Buch werden sollten. Es ist zwanzig Uhr! Ich sehne den Moment herbei, in dem jede Bewohnerin dieses Irrenhauses ihre Küche auf Vordermann gebracht hat, alle die Balkontür, die zum abendlichen Lüften geöffnet wurden, mit Nachdruck geschlossen werden und das, für mich undefinierbare, Möbelrücken ein Ende nimmt.


Ich hüpfe stattdessen zum Ausgleich auf einem Bein bis ins Bad, wo ich dreimal hintereinander die Toilettenspülung betätige. Dann klappere ich in der Küche ein wenig in meinem Geschirrfach herum und lass den Mixer zehn Minuten laufen, um meine Quote des häuslichen Emsigseins für die anderen hörbar etwas anzuheben. Nach fünfundzwanzigminütigem Duschen, untere Hausnormgrenze, sitze ich auf meiner Bettkante und ziehe mir noch eine besonders harte Stelle eines Actionfilm rein. Dessen Action
jedoch lächerlich ist, gegen die Betriebsamkeit in unserem Haus. Die Explosionen stelle ich jetzt immer noch ein wenig lauter, seit der Raucherhusten der esoterischen Rothaarigen unter mir schlimmer geworden ist. 

Wirklich einschlafen kann ich natürlich auch erst, wenn alle Damen im Haus des Nachts einmal pullern waren, gezogen und sich die Hände gewaschen haben. 


aus der Reihe: Meine kleine Wohnung 

Stephanie Ursula Gogolin, Lüneburg, August 2007

1 Kommentar:

Grey Owl Calluna hat gesagt…

Oh, oh,....gerade jetzt, wo ich wieder mal so mutig nach vorne stürtze und mit aller Macht zum Umzug dränge....
Da wäre ich an Deiner Stelle wohl durchgeknallt und hätte die Boxen Mit AC/DC aufgedreht.....
Sei ganz lieb gegrüßt
Rosi